: Der kleine Dünne mit dem großen Zeh
■ Diego Armando Maradona, der berühmteste Profikicker der Welt und Argentiniens Hoffnung auf den erneuten Titelgewinn, plant seine Zunftgenossen gegen die Funktionäre des Weltfußballverbands zu agitieren
Es ist soweit. Alles ist gerichtet, die Italiener sind unzähligen Unkenrufen zum Trotz mit den wesentlichen Einrichtungen für die 14. Fußballweltmeisterschaft fertiggeworden, und das Stadion von San Siro, wo heute das Eröffnungsspiel Argentinien-Kamerun stattfindet, steht wie eine Festung auf seinen kolossalen Pylonen, gegen die die im Altertum weltweit bewunderten Säulen des Ramses-Tempels von Karnak wie Stecknadeln wirken.
Der neugepflanzte Rasen ist auf jene Länge von exakt einem Zentimeter gestutzt worden, die die FIFA für ideal erachtet, um „das Fußballspiel auszuführen“, die Videokameras zur Kontrolle des ach so unberechenbaren Volkes sind installiert, und der Magistrat von Mailand hat ein großflächiges Demonstrationsverbot erlassen, an dessen Unterlaufung allenthalben munter gewerkelt wird. Der Rest liegt in den Händen des französischen Schiedsrichters Michel Vautrot.
Dieser wird um 18 Uhr den initialen Pfiff der WM ausstoßen, und sogleich wird alle Welt auf den großen Zeh von Diego Armando Maradona starren. Der nämlich ist nicht in Ordnung. Da hat sich der 1,67 Meter große Fußball-Cagliostro, dessen Körperform vor einem halben Jahr noch hundert Prozent quadratisch war, mittels einer quälerischen Diät sein ideales Kampfgewicht erhungert, sprüht vor Eifer, Ehrgeiz und mühsam gezügelter Explosivität, und nun kommt ein gewöhnlicher Fußnagel daher und wächst ihm ins Fleisch. Dies ausgerechnet, wo es gegen die wackeren Kameruner geht, denen just besagter Maradona prophezeite, daß sie die „große Überraschung des Turniers“ werden könnten. Das Publikum, soviel ist sicher, wird voll und ganz auf der Seite der Afrikaner stehen, und besonders Maradona, der dem AC Mailand mit seinem SSC Neapel fast im Alleingang die Meisterschaft weggeschnappt hat, darf mit einem gellenden Pfeifkonzert rechnen.
Aber nicht nur in Mailand ist Diego Maradona der bestgehaßte Mann, auch der Weltfußballverband (FIFA) ist neuerdings nicht gut auf ihn zu sprechen. Nach wie vor wälzt er nämlich Pläne, eine Art internationale Spielergewerkschaft zu gründen, deren vorrangiger Zweck es sein soll, der FIFA allenthalben dreinzureden: bei den Anstoßzeiten, der Organisation und - selbstverständlich und vor allem - beim lieben Geld. Bisher gibt die FIFA von ihren gigantischen WM-Einnahmen nur den nationalen Verbänden etwas ab, die Spieler müssen mit diesen verhandeln, um auch abzusahnen. Maradona findet das ungerecht und fordert eine direkte Beteiligung an den WM-Einkünften, denn: „Schließlich sind wir es, die das Spektakel liefern.“ In den Augen der sich göttergleich dünkenden Fußballfunktionäre ein unerhörter Vorgang, und FIFA-Boß Havelange zeigte sich entsprechend majestätsbeleidigt: „Was wäre denn der Herr Maradona ohne uns und die WM?“ Eine dumme Frage, die des kleinen Argentiniers journalistisch tätiger Kollege Valdano umgehend konterte: „Immer noch der beste Fußballspieler der Welt. Aber was wäre Havelange ohne Maradona ?“
Wie dem auch sei, „der beste Fußballspieler der Welt“ ist fest entschlossen, andere Spieler für seine Pläne zu gewinnen und über Kampfmaßnahmen zu beraten. Der Uruguayer Francescoli hat sich bereits auf seine Seite geschlagen. Joao Havelange hingegen hält es wohl derweil mit dem britischen Schauspieler Cleese, der seiner am selben Leiden wie Maradona laborierenden Ehefrau in einem Film wünscht: „Ach, hätte sie statt eines eingewachsenen Fußnagels doch nur eine eingewachsene Zunge.“
Matti Lieske
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