: „Das kann ja heiter werden“
■ Mit der heutigen Eröffnung des Fußball-WM-Spektakels droht den Städten Italiens das Chaos
Es ist soweit: Die Show der Superlative kann beginnen. Vollbracht, so scheint es, ist allerdings in den Austragungsorten der WM längst noch nicht alles: Die Bauabnahmekommission bemängelt, daß auch zur Eröffnung noch die „essentiellsten Strukturen“ fehlen werden. Aber was Mailänder, Römer und Neapolitaner viel größere Sorgen macht, sind die Begleiterscheinungen und mögliche Spätfolgen des Riesenspektakels: die explodierenden Baukosten, die Fehlplanungen und das vorprogrammierte Chaos durch randalierende Hooligans. Der Enthusiasmus der „Tifosi“, der italienischen Fußballfans, ist derweil ungebremst. Nicht mal die zwei Dutzend Toten auf den WM-Baustellen haben die Begeisterung trüben können. Möglicherweise wird das der groß angekündigte Streik im Transportwesen - rechtzeitig zur WM sind Arbeitskämpfe angesagt.
„Schau hin, schau hin“, Germano della Fornace aus Latina bei Rom kann's nicht fassen. „Das ist jetzt das fünfte Mal, daß einem das Ding runterfällt.“ Genervt drückt er per Fernbedienung die gigantische WM-Eröffnungsgala weg, holt sie aber sofort wieder auf die Mattscheibe. „Die haben nicht mal 'nen richtigen Klebstoff?“ Wieder bückt sich einer der Stars, um die vom Samtkissen zu Boden geplatschte Goldplakette aufzuheben. „Verständlich die Aufregung Germanos - schließlich war er bisher bei allen Weltmeisterschaften seit Kriegsende dabei, wo immer sie stattfanden. Und nun, wo „wir sie endlich haben, blamieren wir uns bis auf die Knochen. Wenn das so weitergeht - das kann ja heiter werden.“
So ganz unverständlich ist seine miese Stimmung nicht, zumindest wenn man den Ablauf der ganz aufs Image abgestellten Eröffnungspräsentationen im Fernsehen - den sogenannten „kulturellen Rahmen“ - ansieht. Wie etwa jene mächtig aufgeblasene „Eröffnungsgala“, die unseren Germano so aufregt. Die Super-Show mit den Super-Gästen und den Super-Geschenken, übertragen in 56 Länder, sollte der Welt eigentlich zeigen, „daß dies nicht nur ein Festival der Balltreffer und der Tifosi (Fans) wird“, wie der veranstaltende staatliche Fernsehsender RAIDUE tönte, „sondern auch eine Darstellung unserer Kultur und Leistungsfähigkeit“. Um dies zu beweisen, hatte man, beim Himmel, keine Kosten und Mühen gescheut, ja sogar die heilige Kuh der Nie-Nennung von Sponsoren im Staatlichen geschlachtet; Pioneer und die 'Gazetta dello sport‘ durften gar ihre Direktoren auftreten und sagen lassen, daß sie das alles zahlen. So trat denn, für einen ganzen Abend live, das notorische weiße Schmusetuch in seiner Linken, der weltweit mit Gold überschüttete, gesanglich langsam zum Evergreen degenerierende Luciano Pavarotti vor ein erlesenes Publikum, das von den beflissenen Kameraleuten eifrig abgesucht ward nach Mitgliedern der sozialistischen Führungsriege - der zweite Kanal gehört den Mannen Bettino Craxis, der darob höchstselbst gleich siebzehnmal im Bild erschien.
Ansonsten war zugegen die Elite der Eliten, was fußballerische Meriten der Vergangenheit betrifft, für jede der bisherigen 13 Weltmeisterschaften das jeweilige Super -As, und bekam von einem anderen Super-As oder einem verdienten Trainer oder sonstigem VIP in einem feinen Samtetui die auf Massivgold geprägte Reproduktion der Titelseite der allerersten Nummer der 'Gazetta dello sport‘ ausgehändigt. Aus Bundesdeutschland waren gleich drei Kickfürsten eingeflogen worden, Fritz Walter natürlich, Karlheinz Schnellinger und Gerd, der jetzt mit goldgefaßter Brille ganz intellektuell aussieht.
Doch wie der Himmel mitunter so spielt: Just das Gold bringt jene Komplikationen mit sich, die Germano - und, wie am Tag danach die Journale berichten, drei Viertel der Italiener - das Gefühl elendiglicher Blamage bescheren: weil zu schwer, entreißt es sich der Plakettenschachtel, und die eilig hinuntergebückten Gestalten rammten sich ein- ums andere Mal die Köpfe gegeneinander; ein Komödienregisseur hätte es nicht besser inszenieren können.
Daß die Spiele heiter werden würden, und zwar im Doppelsinn, sehen mittlerweile nicht nur altgediente Zuschauer und bewährte Rifosi so. Faktisch alles, was hehr angekündigt wurde, erweist sich als Flop - „wir wissen überhaupt nicht mehr, wohin wir die Kamera halten sollen, um nur ja nix draufzukriegen, was noch nicht fertig ist, fehlt, grauenhaft aussieht“, flucht ein TV-Mann. In Rom zum Beispiel wurde pompös der extra für die WM gebaute Bahnhof am Flughafen Fiumicino vorgestellt - nur, die Strecke endet am Stadtrand, und so muß der Besucher seine Koffer, will er ins Zentrum, 500 Meter zu Fuß bis zur Metropolitana schleppen; es gibt bisher nicht mal Karren dafür. Das umgebaute Olympiastadion durfte, gesponsert vom Vatikan -eigenen 'Osservatore Romano‘, der Papst höchstselbst einweihen, umgeben, sowas liebt er ja, „von der Jugend der Welt“ (es waren im wesentlichen hingekarrte Schulkinder aus Rom) - doch dann wurde eiligst wieder geschlossen, denn gut ein Drittel „selbst der essentiellen Strukturen wird auch bei der Eröffnung noch fehlen“ (so der Bericht der Bauabnahmekommission); nach den sieben Partien der WM werden die Römer ihre eigenen Stars wieder nur im kleinen Flaminio -Stadion bewundern können. In Neapel ist zwar alles ums Stadion herum fertig - dafür aber kämpfen die Bewohner bis in weit abgelegene Winkel seit Wochen gegen wechselnde Farben ihres Leitungswassers, das mal braun, mal gelb, mal schwarz aus dem Hahn kommt - „je nachdem, wo die gerade versuchen, die durchgebaggerten Rohre zu flicken“, wie aufgebracht ein Redner bei einer Großdemo schimpfte. In Palermo „wundern wir uns sowieso alle“, so der Umweltschützer Pippo Onofrio, „warum die nicht gleich ein Potemkinsches Stadion hingestellt oder an irgendeine Wand hingemalt haben: recht viel anders wäre es auch nicht gelaufen.“ Außer dem massigen Betonklotz, der ein ganzes gewachsenes Quartier ausradiert (und der Bauspekulation in der sowieso schon weitgehend zerstörten Stadt erneut Tür und Tor geöffnet) hat, ist so gut wie nichts zu sehen, was nach den versprochenen „mächtigen infrastrukturellen Verbesserungen aussieht“. In Mailand hielten die Veranstalter den Zugang zum Stadioninneren so massiv versperrt, daß nicht einmal eine Maus reinkam - „die wollten uns erst im letzten Moment zeigen, daß ihr Stolperrasen noch immer nix taugt“, wie verärgert 'il Mattino‘ aus Neapel grummelt, der sich die Eröffnung sowieso „für uns hier gewünscht hätte, wo doch die Argentinier an sich für den Süden ausgelost sind“.
Die Tendenz, der Welt - freilich unfreiwillig - etwas zum Schmunzeln vorzuführen, scheint „mittlerweile zum Grundhandeln unserer Verantwortlichen zu gehören ('la Repubblica‘). In Rom zum Beispiel wurde spektakulär Paul Scarrot, der angebliche „König der Hooligans“ verhaftet, die Aktion als Super-Erfolg der verdeckten Ermittler und blitzschnellen Einsatzkommandos gefeiert. Tatsächlich „saß der Kerl schon seit Tagen im Bahnhof herum, hat alles getan, um aufzufallen und sogar eine Pressekonferenz auf den Bahngleisen abgehalten“, wie ein Stationsbeamter vermerkt.
Der Unmut der Bevölkerung jedenfalls ist mächtig am wachsen. Dabei waren es weniger die (mittlerweile zwei Dutzend) Unfalltoten auf Baustellen, auch nicht die vielfältigen Belästigungen beim Um- und Neubau von Stadien und ganzen Straßenzügen, die die Stimmung haben kippen lassen - es ist, so 'il manifesto‘ „wohl eher die Einsicht, daß am Ende wirklich nur Dummzeug dabei herauskommt, daß wir trotz unserer Stellung als fünfte Industrienation am Ende so mickrige Brötchen backen, daß man nur darüber lachen kann.“
Werner Raith
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