: Wer Bremen satt hat...
■ ...erfährt im Staatsarchiv alles über Auswanderung / 300jährige Bremer Tradition
Das ist Bremer Herzlichkeit: Wer einwandern will, reiht sich in die lange Schlange der Wartenden bei der Ausländerpolizei ein. Aber wer auswandert, der hat die Wahl zwischen fünf Beratungsstellen - alle hauptamtlich besetzt und finanziert vom Bundesverwal
tungsamt in Koblenz. Das ist nämlich seit 1952 für die bundesdeutschen EmigrantInnen zuständig. Die 81 Jahre zuvor mußte sich dagegen nach Bremen wenden, wer Auskunft über die Länder der unbegrenzten Möglichkeiten haben wollte. „Alle heftigen Widerstände und Hinweise auf die Rolle Bremens als traditionell bedeutendsten Auswandererhafen halfen nichts“, erinnerte gestern Hafensenator Konrad Kunick an Adenauers Entscheidung - und eröffnete eine Ausstellung der Koblenzer Auswandererbehörde im Bremer Staatsarchiv.
Sieben Millionen Menschen waren es, die in den vergangenen 150 Jahren Deutschland und Europa via Bremen den Rücken kehrten.Doch die Geschichte Bremens als Auswandererhafen beginnt schon viel früher, nämlich Mitte des 17. Jh., als William Penn (der dem US-Staat Pennsylvania den Namen gab) in Bremen nach Siedlern suchte. Er wurde
fündig, denn die freie Reichsstadt hatte allerlei Flüchtlinge vor Hunger und Kriegsdienst angelockt. Das Auswanderungsgeschäft bescherte dem Bremer Hafen Hochkonjunktur - nicht nur bei Gastwirten, Geldwechslern und Tabakläden, sondern auch bei den Kaufleuten. Denn die profitierten von dem Warenstrom, mit dem die Auswandererschiffe auf dem Rückweg von Amerika gefüllt wurden.
Das Geschäft funktionierte so gut, daß es 1768 per Reichsgesetz verboten wurde. Dem Kaiser drohten die Soldaten wegzulaufen. Doch der Senat betrieb das Auswanderergeschäft heimlich weiter und begründete dies - ganz Bremer Tradition
-humanistisch: „Es sei barbarisch und widerspräche dem menschlichen Gefühl, weil Leute, die in ihrem Vaterland darbten, nun nicht zurückgetrieben werden sollten, nachdem sie ihre Heimat verlassen und die Reise nach Bremen
gemacht hätten.“
Der Plan ging auf, und ab 1783 begann ein richtiger Auswanderungs-Boom, weil Bremer Schiffe nun das Recht hatten, die amerikanischen Häfen direkt anzulaufen. 4,5 Mio Taler ließen die Auswanderer allein von 1832 bis 1855 in Bremens Geschäften. Und ab 1851 sorgten Reeder und Polizei für einen reibungslosen Menschenumschlag.Das „Nachweisbüro für Auswanderer“ war der Vorläufer der Auswandererberatung des Koblenzer Bundesverwaltungsamtes.
Heute gehen die meisten der 100.000 Menschen, die jährlich der Bundesrepublik den Rücken kehren, nur noch vorübergehend zum Arbeiten nach Saudi Arabien oder Brasilien. Auskunft gibt es deshalb nun auch für binationale Ehen. Frauen, die in islamische Länder heiraten, wird zum Beispiel ein Ehevertrag empfohlen, der ihnen später die Rückkehr auch gegen den Willen des Ehemanns sichert. Und Flüchtlinge werden - ganz Bremer Gastfreundschaft - dabei beraten, wie sie am besten in andere Länder weiterfliehen können.
Ase
Bis 27.6., Mo.-Fr. 9 bis 16h, Do. bis 20h, Fr. bis 15h, Staatsarchiv, Präsident-Kennedy-Platz.
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