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Authentisches Gruseln

■ Bei Munitionsbergung für Rock-Spektakel „The Wall“ wurden in SS-Bunkern Nazi-Wandzeichnungen entdeckt

Berlin-Mitte. Nun ist die Gruselshow perfekt. Nicht nur ein Stück original Berlin Wall wird Pink Floyd für ihr Berliner Wall-Konzert zur Verfügung gestellt. Das Publikum darf auf SS-Bunkern im Untergrund zwischen Pariser und Leipziger Platz tanzen. Bei der vorbereitenden Munitionsbergung allzu authentisch sollte das Gruseln denn doch nicht sein wurde in einem SS-Bunker das Wandgemälde eines Nazizeichners entdeckt.

In lichten Farben werden die glorreichen Helden der „Leibstandarte Adolf Hitler“ dargestellt, die eine deutsche Mutter mit deutschen Kindern beschützen, im Hintergrund deutsche Landschaft, ein idyllisches Bauernhaus, Felder und eine Reihe Flachs angedeutet. Über allem schweben die Flügel kreuzenden Reichsadler. Die Wenigen, die sich das Werk jetzt ansehen konnten, mußten bis über die Knöchel in Schlamm und Wasser waten, standen zwischen den Überresten des Endkampfes um Berlin - verrotteteten Gasmasken, Uniformresten, Holzbänken, rostzerfressenen Fahrzeugresten, einem vergessenen Holzbein und massenhaft leeren Flaschen.

Nachdem die Munitionsbergung längst abgeschlossen war, wurde der Bunker für die Promotion von The Wall gestern noch einmal kurz geöffnet. Jetzt versperren Betonplatten wieder den Zugang zum Bunker. Bis zum großen Konzert muß ja alles plattgewalzt sein.

Was wird aus dem Todesstreifen zwischen Pariser- und Leipziger Platz, wenn die Lupinensaat zertrampelt ist, und die Roadies die Anlage abgebaut haben? Mit prominenter Unterstützung (u.a. Siegfried Lenz, Edzard Reuter und Kurt Masur) fordert eine Initiative die Errichtung eines Holocaust-Denkmals. In unmittelbarer Nähe zu Hitlers Neuer Reichskanzlei soll an die Ermordung der europäischen Juden erinnert werden.

Die Bergungsarbeiter auf dem Gelände erzählen, daß die „Oberen“ in Ost-Berlin dieses Projekt unterstützen. Sie haben für das Denkmal offenbar mehr Sympathie als für das große Rock-Spektakel.

Iris Pollatschek

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