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Kehren alte Besen gut?

Italiens Trainer Vicini setzt gegen Österreich auf die EM-Mannschaft von 1988, obwohl der Dalai Lama den Einsatz vom teuren Roberto Baggio empfiehlt  ■  Aus Mailand Matti Lieske

Was Italien heute abend von seiner Fußball -Nationalmannschaft erwartet, wenn diese in Rom ihr erstes Weltmeisterschafts-Spiel bestreitet, bekam Trainer Azeglio Vicini schon vor zehn Tagen sinnfällig vor Augen geführt. Da stolperten seine Kicker ein müdes 0:0 gegen Griechenland zusammen, und im Stadion von Perugia brach eine Flut von Pfiffen und Buh-Rufen über das Team herein. Verschlimmert wurde das Ganze dadurch, daß der erste Gegner der Italiener, die Österreicher, am selben Abend einen rauschenden 3:2-Sieg gegen die Niederlande aufs Parkett des Wiener Prater -Stadions legten.

Krisenstimmung herrschte im Stiefelland, die Presse fiel über die Spieler her, behauptete, daß Vialli und Donadoni den armen Turiner Torjäger Schillaci nicht in der Mannschaft haben wollten und ihm deshalb jegliches Zuspiel verweigerten, und fast war es wieder so weit wie 1982, als das Klima zwischen Journalisten und Spielern so vergiftet war, daß die Azzurri einen totalen Presseboykott ausriefen und, anstatt darob schmählich auszuscheiden, dreisterweise Weltmeister wurden, ohne den im eigenen Saft schmorenden Reportern auch nur ein Sterbenswörtchen in die Federn zu diktieren.

Dieser Stachel sitzt immer noch tief im Herzen der italienischen Sportpresse, und so beeilte sie sich diesmal, die Wogen zu glätten. Zu Hilfe kam ihr ein leichtes 3:0 im Testspiel gegen das schlappe Team aus Cannes, zu dem Gianluca Vialli zwei Tore beisteuerte. Schon war alles eitel Sonnenschein.

Die Aufstellung gegen Cannes sei auch die des Österreich -Spieles, hatte Vicini vorher klargestellt, das Gerangel um die Plätze, der Stoff, aus dem im Fußball die Intrigen sind, war also vorbei. Die Konzentration konnte fortan voll und ganz solch hochbedeutenden Angelegenheiten wie dem Besuch von Sofia Loren im Trainingscamp oder dem sanft gequetschten Muskel des Stürmers Vialli gelten.

Nach allen Irrungen und Wirrungen der letzten beiden Jahre hat Vicini zu guter Letzt auf das Altbewährte zurückgegriffen. Italien wird sein erstes WM-Spiel praktisch mit jener Mannschaft bestreiten, die sich 1988 im Stuttgarter Halbfinale gegen die Sowjetunion aus der EM verabschiedete. Einzige Ausnahme: Für Roberto Mancini spielt Andrea Carnevale vom SSC Neapel, der für die nächste Saison bei Völlers AS Rom angeheuert hat. Vor dem stets überaus smarten Torwart Walter Zenga (Inter) tummelt sich wieder die gesamtmailändische Abwehrkette mit ihrer klaren Aufgabenverteilung.

Franco Baresi und Paolo Maldini vom AC sind für die Eleganz zuständig, während die beiden hinterhältigen Inter-Treter Giuseppe Bergomi und Riccardo Ferri auf den geeigneten Augenblick lauern werden, Österreichs gefährlichen Stürmern Polster und Rodax einen soliden Fausthieb oder Ellenbogencheck zu verabreichen.

Die Drecksarbeit im Mittelfeld verrichten der solide Carlo Ancelotti (Milan) und Fernando de Napoli (Napoli), der nach wie vor wie ein übriggebliebener Mitstreiter des Räubers Rinaldo Rinaldini ausschaut. Davor sollen Giuseppe Giannini (Roma) und Roberto Donadoni (Milan) raffinierte Ideen ausbrüten, um Vialli (Samp. Genua) und Carnevale, die nebenbei am Wettstreit um den Titel des schönsten Stürmerpaares der Meisterschaft teilnehmen, in Schußposition zu bringen.

Die Gelackmeierten dieses taktischen Konzeptes sind die beiden Shooting-Stars der letzten Saison, Salvatore Schillaci und Roberto Baggio. Schillaci darf immerhin mit seiner Einwechslung rechnen, während der gerade für einen Betrag, dessen Schätzungen zwischen 23 und 36 Millionen D -Mark schwanken, zu Juventus Turin gewechselte Baggio, der gern Zuversicht in buddhistischen Weisheiten sucht, möglicherweise ausdauernd auf der Bank brummen muß. Und dies, obwohl ihn der Dalai Lama persönlich empfohlen hat: „Ich hoffe, daß er spielt, denn er ist sehr stark und außerdem einer von uns.“

Baggios Stunde kann jedoch schnell kommen. Sollte Italien gegen Österreich nicht gewinnen, wird das Geschrei immens sein, und Azeglio Vicinis vorbeugender weiser Satz, daß durchaus eine Mannschaft Weltmeister werden könne, die mit einem Unentschieden beginne, dürfte kaum einem Tifoso Balsam in die Wunden träufeln. Taten werden dann gefragt sein, und warum sollte Italiens Trainer in solch einem prekären Fall nicht einfach mal auf den Dalai Lama hören.

Team mit Rückennummern: Zenga (1), Baresi (2), Bergomi (3), Maldini (7)'Ferri (6), Ancelotti (9), de Napoli (11), Giannini (13), Donadoni (17), Vialli (21), Carnevale (16)

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