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Stationen der Entscheidung

■ In der Ostberliner Frauenklinik Friedrichshain werden mit großer Selbstverständlichkeit Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen / Das im Vergleich freizügge Abtreibungsgesetz der DDR führt nict zu mehr Abbrüchen...

Die rote Lampe vor dem Operationssaal auf der Station 12 leuchtet noch nicht. Es ist kurz nach acht Uhr morgens, die Vorbereitungen für das OP-Programm laufen auf vollen Touren.

Auf den Stationen 12 und 13 der Frauenklinik im Krankenhaus Friedrichshain liegen Patientinnen, bei denen Schwangerschaftsabbrüche oder kleine gynäkologische Eingriffe wie Kürettagen nach Fehlgeburten vorgenommen werden. Der OP auf Station 12 ist speziell dafür eingerichtet, um den Operationsbetrieb, der einen größeren apparativen Aufwand verlangt, nicht aufzuhalten. Im Schwesternzimmer ist ein ständiges Kommen und Gehen. Reagenzgläser, gefüllt mit allen möglichen Körpersäften, werden rein- und rausgetragen, etikettiert, sortiert und als „Werte“ in den entsprechenden Krankenblättern vermerkt. Um zehn Uhr soll das OP-Programm beginnen.

Die Atmosphäre ist entspannt, fast familiär. „Wir stehen voll dahinter, daß die Frauen selbst entscheiden können, ob sie das Kind wollen oder nicht“, sagt eine Ärztin, „und daß sie die Möglichkeit haben, selbstverständlich und unkompliziert einen Schwangerschaftsabbruch machen zu lassen.“ Abtreibungen habe es in der Geschichte immer gegeben und werde es immer geben. Mit Verboten ließe sich da nichts regeln. Eine Frau tue alles, um ein Kind zu kriegen. Wenn sie aber partout kein Kind will, so die Ärztin, tue sie alles, um es nicht zu kriegen.

Seit 1972 ist in der DDR die Schwangerschaftsunterbrechung bis zur zwölften Woche mit ganz geringen Einschränkungen erlaubt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann jede Frau in „eigener Verantwortung“ entscheiden, ob sie das Kind will oder nicht. Die Kosten für den Abbruch und der anschließende Krankenhausaufenthalt wird von der Sozialversicherung bezahlt. „Ich halte das Gesetz nach wie vor für gut, obwohl ich den Eingriff ungern und widerwillig mache“, sagt der Chefarzt der Frauenklinik Friedrichshain, Professor Randow. Er habe noch bis 1971, während seiner Assistenz- und Oberarztzeit, jedes Jahr sechs bis acht Frauen nach verpfuschten Abtreibungen an den Folgen einer Blutvergiftung sterben sehen. „Wer das einmal erlebt hat, wie die Frauen dann in die Klinik gebracht werden, kann nicht für ein Verbot oder eine Verschärfung der Abtreibungsregelung eintreten“, kritisiert Professor Randow das Ansinnen bundesdeutscher CDU-Politiker, im Zuge der Rechtsangleichung die Fristenregelung der DDR durch den bundesdeutschen Paragraphen 218 zu ersetzen. Es sei vollkommen undemokratisch, daß darüber alte Herren entschieden, die von der „alltäglichen Sexologie“ meilenweit entfernt seien.

1971 sind in der DDR 31 Frauen an den Folgen einer illegalen Abtreibung gestorben. In den Jahren davor waren es sogar noch mehr. Schlagartig mit der Einführung der Fristenregelung aber sind die durch Fehlgeburten bedingten Todesfälle auf zwei bis drei pro Jahr gesunken. „Natürlich hat der Fötus ein Recht, aber die Mutter hat auch ein Recht. Denn die Frau ist, wenn sie dieses Kind nicht haben will, in einer psychischen Notsituation. Und es kann nur ihre ureigenste Angelegenheit sein, zu entscheiden, will ich das Kind, oder will ich es nicht“, sagt Professor Randow. „Das muß mit einem Gesetz, das auch die Ärzte legitimiert, gesichert werden.“

Die Abtreibungszahlen in der DDR sind mit 70.000 bis 75.000 Schwangerschaftsabbrüchen jährlich auch nicht höher als in der Bundesrepublik, wo unter der strengen Ägide des Paragraphen 218, legal oder illegal abgetrieben wird. Für die Bundesrepublik sind 1989 75.300 Schwangerschaftsabbrüche erfaßt worden. Aber nicht alle ÄrztInnen melden einen Abbruch auch tatsächlich an das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Die Dunkelziffer soll etwa bei 200.000 illegalen Abtreibungen in der Bundesrepublik pro Jahr liegen.

„Auch jetzt im ersten Quartal 1990, in dieser Umbruch- und Krisenzeit, sind die Zahlen in meiner Klinik nicht gestiegen“, sagt Professor Schmidt, Chefarzt der Köpenicker Frauenklinik. In der Charite wurde ein Zuwachs von 21 Prozent im ersten Quartal 1990 gemeldet; das kann Schmidt für seine Klinik nicht bestätigen. Seit 1972 seien die Abtreibungszahlen kontinuierlich gesunken.

Die Frauen, die heute morgen pünktlich um acht Uhr zum Schwangerschaftsabbruch in die Frauenklinik Friedrichshain gekommen sind, liegen jetzt auf ihren Zimmern und werden nach und nach für den OP vorbereitet. Die Stationsärztin hört Herz und Lunge nochmal ab. Puls, Blutdruck und Temperatur werden gemessen. Die Anästhesistin versichert sich, daß die Frauen auch wirklich nüchtern sind. „Denn, schon ein paar Züge aus einer Zigarette können bis zu zwei Liter Magensaft mobilisieren“, erklärt die Schwester. Nacheinander werden die Frauen zum Rasieren in das Untersuchungszimmer gebeten.

Bleich und etwas nervös wirken sie in ihren Betten, jede ist mit sich selbst beschäftigt. In ihrer Entscheidung seien sie sich sicher, äußern die Frauen. „Ich weiß, wie belastbar ich bin, und was ich mir zumuten kann, und was nicht“, sagt Susanne (25). „Mit einem zweiten Kind“, so eine andere, „hätte ich meinen Arbeitsplatz verloren, mein Chef hat mir das ganz deutlich zu verstehen gegeben. Ich liebe meine Beruf. Außerdem, wer weiß, was noch so alles auf uns zukommt.“ Auch die 22jährige Kathrin kann sich nicht vorstellen in diesen Zeiten und noch dazu als Freiberuflerin - durch nichts abgesichert - sich und ein Kind durchzukriegen. Jede hat ihre persönlichen guten Gründe, die Schwangerschaft abzubrechen. „Ich muß in meinem Leben immer wieder allein moralische Entscheidungen treffen. Also, warum soll ich mich in puncto Schwangerschaftsabbruch von Staat, Kirche oder einer rigiden Moral gängeln lassen. Ich muß damit klarkommen, sonst niemand. Also ist es meine Sache, und ich hoffe, daß es weiterhin möglich ist, daß es auch meine Sache bleibt“, sagt eine von ihnen.

Ein paar Tage vorher werden die Frauen in der Poliklinik Friedrichshain ambulant untersucht, beraten und über mögliche Komplikationen eines Schwangerschaftsabbruchs aufgeklärt. „Alle Voruntersuchungen wie Laborwerte etc., die notwendig sind, werden dort gemacht“, sagt die Stationsärztin, Birgit Ruhmland (33). „Doch auch wir informieren die Frauen, wenn sie auf die Station zur Aufnahme kommen, nochmal über mögliche Komplikationen dieses Eingriffs.“ Allein die Vollnarkose berge in sich schon Komplikationsmöglichkeiten. Noch sind in der DDR ambulante Schwangerschaftsabbrüche mit lokaler Betäubung unüblich.

„Ich halte die Schwangerschaftsunterbrechung nach wie vor für einen komplizierten Eingriff, den nur ein qualifizierter Arzt machen sollte“, meint Professor Schmidt, der Chefarzt. Komplikationen, die nach einem solchen Eingriff auftreten können, sind vor allem Entzündungen der Gebärmutterschleimhaut, der Eileiter oder der Eierstöcke. Insbesondere bei Frauen, die noch kein Kind geboren haben, kann es sein, daß das Gewebe beim Weiten des Gebärmutterhalskanals verletzt wird. „Das Schlimmste aber, was passieren kann, ist, daß die Gebärmutter bei der Kürettage durchstoßen wird. Dann muß noch in der gleichen Narkose die Gebärmutter entfernt werden.“ Jedoch gibt es weder in Ost noch West genaue Untersuchungen darüber, wie hoch die Komplikationsrate tatsächlich ist.

Daß die DDR ihre Gesetzesregelungen zum Schwangerschafts beibehalten soll, darüber sind sich hier alle ÄrztInnen einig. Allerdings könne es, jetzt nach 18 Jahren, durchaus mal überarbeitet und verbessert werden. „Die Formulierung in unserem Gesetz, die Frau habe die Möglichkeit über Anzahl, Zeitpunkt und zeitliche Aufeinanderfolge der Geburten selbst zu bestimmen, hat mich immer geärgert“, sagt die Ärztin Beate Ristau. „Es müßte heißen: Die Frau kann durch die Abtreibung bestimmen, wann sie kein Kind haben möchte, denn, wann sie ein Kind haben möchte, kann sie nicht bestimmen.“ Viele Frauen würden die Risiken eines solchen Eingriffs nicht kennen oder einfach nicht zur Kenntnis nehmen. „Das Gesetz ist eine Notbremse“, sagt Professor Randow, „es darf nicht zur Verhütung mißbraucht werden.“ Um das zu vermeiden, wird eine umfassende Sexualaufklärung, die schon im Kindergarten beginnen sollte, gefordert. Das Beratungs- und Aufklärungsangebot dürfe aber nicht zur Beratungspflicht verkommen. Eine Zwangsberatung wie sie die südlichen Bundesländer der BRD fordern, sei indiskutabel. Staat, Kirche und Moral hätten sich hier nicht einzumischen.

Anke (30) hatte vor einem halben Jahr eine Abtreibung. Sie ist diplomierte Philosophin, jetzt arbeitslos, verheiratet und hat einen vierjährigen Sohn. „Warum ich abtreiben wollte, das hat mich keiner gefragt. Ich mußte mich nicht rechtfertigen. Es wird natürlich gefragt, bist du dir sicher, überleg‘ es dir nochmal. Ich hatte drei Tage Zeit gehabt, noch mal alles zu überdenken.“ Doch ihre Entscheidung sei ziemlich schnell klar für den Abbruch gewesen. „Was mich aber an der Beratung gestört hat, war dieses ein wenig von oben herab ins Gewissen reden, in dem Stil: Wie kann man mit Verhütung nur so lax umgehen. Es sollte doch bitte schön das erste und letzte Mal gewesen sein. Aber nach dem Partner wurde nie gefragt.“ Verhütung sei eigentlich nur Angelegenheit der Frauen. Männer müßten in die Beratungen über Verhütung und Komplikationsmöglichkeiten viel stärker einbezogen werden. Das männliche, koitus-fixierte Verhalten müsse hinterfragt. „Wir Frauen konnten in der DDR sexuell relativ selbstbestimmt leben. Allerdings unter dieser ganz männlichen Sicht von Sexualität. Es wurde halt gebumst.“

Trotz der liberalen Regelung sei eine Abtreibung in gewissen Gegenden der DDR ein Tabu. Auf dem Lande weniger, die Bäuerinnen wüßten genau viele Schwangerschaften sie sich zumuten können, außerdem werde ihre Arbeitskraft einfach gebraucht. Mit Abtreibungen werde dort ganz pragmatisch umgegangen. Doch in dem kleinstädtischen, miefigen Milieu werde man, wenn ein Abbruch publik wird, schnell zur Schlampe abgestempelt. In Berlin hingegen sei die Anonymität der Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch machen ließen, gewahrt. Doch in den Kleinstädten, gebe es vieleicht gerade mal einen Frauenarzt oder -ärztin und das gesamte mittlere medizische Personal sei miteinander verschwippt, verschwägert, verschwestert oder befreundet und da werde eben getratscht.

Heute beginnt das OP-Programm auf der Station 12 mit Verzögerung. Es ist schon fast elf Uhr. Kurz vor dem Eingriff bekommen die Frauen eine Beruhigungsspritze. Im OP wird dann das Narkosemittel gespritzt. Der Eingriff dauert im Durchschitt zehn Minuten.

„Mit der Saugkürette wird das Plazentagewebe entfernt, in wenigen Sekunden ist dann die Gebärmutter, wenn sie geöffnet ist, leer“, erklärt Professor Schmidt.

Noch ganz benommen von der Narkose wachen die Frauen langsam auf. Sie bleiben zur Beobachtung die Nacht über in der Klinik, eine Regelung in den meisten Ostberliner Frauenkliniken. Am nächsten Morgen werden sie - ist die Blutung normal, die Temperatur unter 37 Grad und die Bauchdecke nicht berührungsempfindlich - dann entlassen.

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