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Is ja wie RTL, Mensch!

 ■ S T A N D B I L D

(BRD-Jugoslawien, So., 10.6., 21 Uhr, DFF2) Wißt Ihr noch die Zeit vor dem Fall des „antifaschistischen Schutzwalls“, als wir Linken öffentlich noch mutig für die Zwei -Staatlichkeit eintraten? Nein? Macht nichts. Aber daß wir zu Hause Sportveranstaltungen gerne mal im DDR-Fernsehen verfolgten? Weil es im Genre der unfreiwilligen Komik auch im Sport nur wenig besseres gab als die hart zugerittenen SED-Moderatoren? Ja? Wußt ichs doch!

Seien wir ehrlich, eine richtige DDR gibt's ja eigentlich nicht mehr. Auf der anderen Seite kann von einem Deutschland einig Vaterland auch noch keine Rede sein. Ich sage nur: Lafontaine! Was tun? Wie würden sich die Moderatoren des nicht-sozialistischen, nicht-öffentlich-rechtlichen und nicht-privaten Fernsehens der DDR zum Beispiel beim Spiel BRD-Jugoslawien verhalten? Take it Gysi oder ab in die Vollen?

Durch die Sendung führte Ulf-Dieter Hesse. Ein zukunftsorientierter Typ. Nach ein paar jovialen Einleitungsworten hebt er plötzlich die Hand und schreit: „Diese Sendung wird gesponsort von der Firma 'addidas'“. Ich zucke zusammen. Ein Stück Banane klemmt sich plötzlich in meine Luftröhre. Dann Werbung, während ich verzweifelt um Atem ringe, Umschaltung ins Stadion, Uwe Grandel kommentiert. Er ist diskret, distanziert wie immer. Dem Gedanken einer eventuellen deutschen Einheit scheint er jedoch nicht abgeneigt. Er nimmt das Wort „bundesdeutsch“ nur noch zwei Mal, „deutsch“ oder „Deutschland“ aber insgesamt zwölf Mal in den Mund. Auch zeigt er sich bestens informiert. Aber eben zurückhaltend. Bei der Hymne schweigt er. Ob er steht, kann ich nicht sagen. Dann Pause. Die Deutschen liegen in Führung. Nochmal kurz der Hinweis auf addidas und ein bißchen Werbung. So ist das nun mal im Spätkapitalismus. Ulf-Dieter kommt wieder ins Bild. Er fühlt sich sichtlich wohl, richtig aufgekratzt, scheint mir. Eine Frau steht bei ihm. Sie lächelt freundlich. Ulf-Dieter möchte „den Zuschauern ihre hübschen Beine zeigen“. Er hat die Kameraleute angewiesen, voll draufzuhalten. Die Frau ist angewidert vor soviel Zähflüssigkeit, lächelt aber süßlich. Profi eben! Nun erklärt uns Ulf-Dieter ausführlich die Vorzüge der Produkte einer Computerfirma, die Frau darf derweil ein Kärtchen aus der Tombola fischen und nochmal lächeln. Dann ist aber Schluß, denn nun kommt der Gewinn des Tages: „Und hier der Farbfernseher von der Firma 'Grundig'“. Und hoppla, schnell nochmal der laute Satz mit addidas und ein wenig Werbung hintendrein. Ford Fiesta. Ein Mann steht da und sagt: „Ein umweltfreundliches deutsches Auto“. Erste Salven der Empörung in meiner Wohnung. Ich werde nunmehr unmißverständlich aufgefordert, ins ZDF umzuschalten. Und zwar subito! Mein Protest bleibt ungehört, also sichere ich mir vorsichtshalber den Commander. Denn Rest des Spiels meistert Herr Grandel dann aber so locker wie die erste Halbzeit. Kein falsches Wort über die DDR-Elf. Im Gegenteil, ein Hauch freudiger Erregung wegen des verdienten 4:1. Einmal schnarrt er sogar liebevoll „Rudi“. Alles in allem kein einziger Schnitzler.

Philippe Andre

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