Reformkommunisten retten Apparat

Noch kurz vor der Wahl hofften viele Oppositionelle, die für die KP günstigen Wahlprognosen würden sich nicht bewahrheiten, wurden doch die mit der Wahlanalyse beauftragten Institute als regierungsnah eingestuft. Und so versuchten die Vertreter der Opposition der Bevölkerung bis zuletzt zu suggerieren, es handele sich in Wirklichkeit um ein Kopf-an-Kopf-Rennen, um noch die letzten Anhänger für die Wahl zu motivieren.

Diese Anstrengung hat nicht zum Erfolg geführt. In der Analyse der Ergebnisse werden auch die radikalsten Gegner des bisherigen Regimes anerkannen müssen, daß den Kommunisten Bulgariens etwas gelungen ist, was in anderen Staaten Ostmitteleuropas keiner anderen Kommunistischen Partei beschieden war: Ihre Führung konnte den Willen der Partei, sich zu reformieren, einem großen Teil der Bevölkerung verständlich und glaubhaft machen. Außerdem konnte sie ein Abbröckeln ihrer Basis verhindern - immer noch 980.000 Menschen sind in der BSP geblieben, ja, sie gewann in den letzen Monaten sogar noch an Mitgliedern hinzu. Wenn man nun bedenkt, daß diese Mitgliedschaft immerhin 10 Prozent der Bevölkerung umfaßt, ist der Wahlsieg der Partei schon verständlicher.

Es lohnt sich aber, nochmals die Entwicklung der letzten Monate Revue passieren zu lassen, um die bulgarische Sonderentwicklung deutlich zu machen. Einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer, am 10.November 1989, wurde der 35 Jahre regierende Parteichef Todor Schiwkow, der bis dahin jeglichen Kurswechsel heil überstanden hatte, entmachtet und die „promjana“, die Wende, eingeleitet.

Mladenow, der neue Mann

Als wesentliche Figur kristallisierte sich dabei Petar Mladenow heraus, einer der führenden Männer im Apparat und seit 17 Jahren Außenminister. Und schon die ersten Maßnahmen des neuen Mannes ließen aufhorchen: Er versprach, die repressiven Maßnahmen gegen Angehörige der Menschenrechtsopposition zu stoppen. Politische Organisationen unabhängig von der KP wurden zugelassen. Mit der Ankündigung freier Wahlen für das Jahr 1990 gab er dem Reformprozeß zwar eine Perspektive, löste aber bei den Oppositionellen schon zu diesem Zeitpunkt heftige Kritik aus: Bei den Organisationen, die sich gerade neu formierten, schätzte man frühe Wahlen als nachteilig ein.

Bereits in Dezember bildete sich die „Union demokratischer Kräfte“, in der die Oppositionellen von „Ökoglasnost“ einer seit Jahren in der Halblegalität tätigen Ökologiegruppe - neben der „Menschenrechtsgruppe“ und dem „Club für Glasnost und Demokratie“ den Ton angaben. Auch die traditionellen Parteien, die Bauernpartei und die Sozialdemokraten, tauchten wieder auf. Mit den Gesprächen am Runden Tisch seit Anfang Januar wurden dann die Weichen gestellt für die Wahlen am letzten Sonntag.

Doch vor allem überraschte die Ankündigung der neuen Parteiführung, die bis dato ungebrochene Kampagne gegen die bulgarischen Türken und die Pomaken (bulgarische Moslems) zu beenden. Diese seit 1984 gegen die muslimische Bevölkerung Bulgariens geführte nationalistische Hetze, die in der zwangsweisen „Bulgarisierung“ der Namen mündete, hatte 1989 Hundertausende von bulgarischen Türken in die Türkei getrieben und dem Ansehen Bulgariens im Ausland großen Schaden zugefügt.

Auch in der Partei selbst begannen sich Flügel zu formieren. Schiwkow, der ähnlich wie Ceausescu und der serbische Parteichef Milosevic Nationalismus und Orthodoxie zu verbinden versucht hatte, hinterließ einen konservativen Parteiflügel, gegen den sich drei Reformgruppen herausbildeten: das „Demokratische Forum“, die „Alternative sozialistische Vereinigung“ und der „Bulgarische Weg nach Europa“. Diese Strömungen traten - je das eine oder andere Moment betonend - für die Versöhnung der Gesellschaft, die Abschaffung des Demokratischen Zentralismus und die Öffnung nach Europa ein - Elemente einer neuen Ausrichtung, die später von der Parteiführung übernommen wurde. So konnte eine Spaltung der Partei abgewendet und die internen Kritiker in die neue Linie integriert werden.

Neue Impulse setzte das Engagement von Aleksandar Lilow (56). Der zwischenzeitlich in Ungnade gefallene ehemalige Chefideologe Schiwkows hatte sich während der „Wende“ zu Studienzwecken in England aufgehalten. In einer aufsehenerregenden Rede am 29.Dezember drang er auf eine radikale Abkehr von der Repression gegen die türkische Minderheit und stellte sich hinter Forderungen nach Abschaffung des Demokratischen Zentralismus.

Die „Partei neuen Typs“

Als Schiwkow am 18.Januar 1990 verhaftet wurde, war der Weg frei für die Erneuerung der Partei. Staatspräsident und Nachfolger Petar Mladenow trat schon vor dem 14.Parteitag, der dann in der ersten Februarwoche stattfinden sollte, dafür ein, alle Symbole des Totalitarismus zu beseitigen. Die Partei sollte nach ungarischem Vorbild zu einer „modernen marxistischen Partei neuen Typs“ fortentwickelt werden, ohne sich allerdings wie die Schwesterpartei aufzulösen oder zu spalten. In einem „Manifest für den demokratischen Sozialismus in Bulgarien“ versuchte die Führung die grundsätzliche Neubestimmung der Partei der Öffentlichkeit und der Mitgliedschaft nahezubringen. Darin versprach sie die Abschaffung des Machtmonopols der Partei im Staate, die Gewaltenteilung innerhalb der Gesellschaft und Sicherungen gegen einen neuen „Absolutismus“. Künftig sollte die bulgarische Gesellschaft pluralistisch organisiert sein und ihre politische Struktur in ein Mehrparteiensystem umgewandelt werden.

Auf dem Parteitag wurde Aleksandar Lilow zum Vorsitzenden gewählt. Petar Mladenow zog sich auf den Posten des Staatspräsidenten zurück, mit der Trennung von Partei und Staat sollte ernst gemacht werden. Die Wende sollte mit der Abschaffung des Demokratischen Zentralismus und der Namensänderung in „Bulgarische Sozialistische Partei“ nach außen hin sichtbar vollzogen werden - eine Entscheidung, die übrigens nur von 64 Prozent der Mitgliedschaft in einer Urabstimmung mitgetragen wurde.

Dritter im Bunde dieser „Troika“, wie die neue Führung bald genannt wurde, war der bulgarische Ministerpräsident Andrei Lukanow, der nach dem Parteitag offen die ökonomischen Probleme des Landes ansprach. In seiner Regierungserklärung schlug er die Reduzierung der Haushaltsausgaben und die Abschaffung der bürokratischen Hemmnisse vor, die Privatinitiativen entgegenstehen. Durch seine Rede erfuhren die Bulgaren erstmals, wie schlecht es eigentlich um die Ökonomie steht. Das einstmals blühende Agrarland ist heute nicht einmal mehr in der Lage, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Zwar gelang es Lukanow nicht, die bis dato mitregierende Blockflöte „Bauernpartei“ und andere Oppositionsparteien für sein Übergangskabinett zu gewinnen, doch legte die Regierung darauf wert, alle Entscheidungen mit dem Runden Tisch abzustimmen.

Ohne die Absicherung des Prozesses durch die Armeespitze hätte aber auch die Troika nicht so schnelle Fortschritte im Reformprozess machen können. Wie und wann sich General Dobri Dzhurow (74), Politbüromitglied seit 1977 und Verteidigungsminister seit 1962, für den Weg Gorbatschows und gegen Schiwkow entschieden hatte, ist unklar. Doch hielt er der neuen Führung den Rücken frei für ihre Politik.

Sicherlich ist die Kritik der Opposition an der „Sozialistischen Partei“, die ehemalige KP versuche durch ihre Reform nur, die gewachsenen Herrschaftsverhältnisse zu retten, nicht aus der Luft gegriffen. Der „Troika“ ist es gelungen, die ehemalige KP intakt an der Macht zu halten. Anders als die „Sozialisten“ in Ungarn haben es die bulgarischen Parteifreunde aber geschafft, ihren Kurswechsel in der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen. Der frühe Wahltermin, und dieser Umstand ist für den Ausgang der Wahlen nicht zu unterschätzen, war dafür vorteilhaft.

Erich Rathfelder