piwik no script img

WELTGESCHICHTLICHES WIRKEN

■ „40 Jahre deutsch-deutsche Literatur - Versuch einer Bilanz“ in der Akademie der Künste (Ost)

Von wieviel deutschen Literaturen läßt sich eigentlich sprechen? Unter Einschluß der im Verschwinden begriffenen rumäniendeutschen Literatur kommt jemand bei seiner Hochrechnung auf neun. Jetzt ist eine weitere der deutschsprachigen Sonderformen dabei, verlorenzugehen: die DDR-Literatur wird zerbröckeln, wie die Mauer zerbrach. Anlaß genug für eine Diskussionsveranstaltung in der Akademie der Künste (Ost), auf der es dann auch nicht um die Frage der Wechselwirkung zwischen den beiden Literaturen, sondern einen Nachruf auf die Eigenständigkeit der DDR -Literatur ging, ihre besondere Adaptionsweise der Tradition, ihr eigenes Ethos und ihre eigene Ästhetik. Sonntag abend, nur wenige Tage vor der endgültigen Mauerabtragung und der definitiven Grenzaufhebung, wurde versucht, im Gespräch zwischen den west- und ostdeutschen AutorInnen Christa Wolf, Jurek Becker, Peter Schneider, Harald Hartung, Karl Mickel und Dieter Schlenstedt Bilanz zu ziehen.

Über die DDR-Literatur, auch im Rückblick, zu sprechen, wurde gleich zu Beginn für unmöglich erklärt: Homogenität habe es nie gegeben. Die Frage nach dem Spezifikum der DDR -Literatur sei eine, wie sie nur von Germanisten -„Faulpelzen“ (Jurek Becker) gestellt werden kann. Das einzig Verbindliche und Verbindende der in „Ostelbien“ lebenden Autoren, so der DDR-Lyriker Karl Mickel, sei ein gemeinsames Pathos, ein „Anpackenwollen“, eine aufklärerische Absicht gewesen: dieser Impetus habe den „Sturm-und-Drang„-Charakter („Klassik“, hatte er davor gesagt) der DDR-Literatur hervorgebracht. Gegen Christa Wolfs These, daß vor allem die Reibung mit der Politik die Literatur der DDR zusammengehalten bzw. polarisiert habe, wollte Mickel den „aktiven Trieb“ des Autors, „das Scheinbild der Wirklichkeit zu enthüllen“, gewahrt wissen. Ihre Differenz zur BRD-Literatur, was die Traditionsneigungen betrifft? Ja, im Osten habe man zu Zeiten beim Rotwein seinen Klopstock rezipiert, schon als Gegenbewegung gegen das Fortschrittsdogma der realsozialistischen Kunst; im Westen habe man sich dagegen eher auf die amerikanische Pop-art gestürzt (Papenfuß-Gorek müsse also schleunigst seine Klopstock-Lektüre nachholen, um der Klassikträchtigkeit der DDR-Literatur nicht zu entgehen).

Peter Schneider, erleichtert darüber, daß es sich nicht um eine „Greenpeace„-Veranstaltung für DDR-Literatur handle, sah die Unterschiede zwischen den beiden Literaturen zum einen in der Themenwahl: die Teilung beispielsweise sei in der DDR-Literatur viel präsenter gewesen als in der westdeutschen, weshalb man ihn seit seinem „Mauerspringer“ immer für einen DDR-Autoren halte. Zum anderen habe ihn persönlich besonders in den sechziger Jahren der „hohe Ton“ der DDR-Literatur gestört, zu einer Zeit, da man im Westen nicht einmal mehr der Grammatik Vertrauen schenkte. Jurek Becker, der in beiden Systemen Kundige, sah das Gemeinsame der DDR-Literatur mit westlicher Nüchternheit vor allem in dem Faktor Zensur. Mit Bezug auf sie habe jeder geschrieben, auch wenn er, wie Christa Wolf, davon ausgegangen sei, daß das Geschriebene nie gedruckt werde. Das Unterscheidungskriterium von Zensur drüben und Markt hüben wurde in der Folge weidlich bemüht, auch wenn Mickel sich immer wieder für die Unabhängigkeit des Individuums stark machte und dafür, daß „Kunst Kunst ist und nicht das Leben“. Auch die bekannten Entgegensetzungen fehlten nicht: die übersteigerte Literaturgier im Osten versus die Indifferenz im Westen, die heilsbringerische Haltung des DDR-Literaten im Gegensatz zur Käuflichkeit des West-Autors.

Der „hohe Ton“ erwies sich auch an diesem Abend als der spezifische Unterschied zwischen den Gesprächspartnern aus Ost und West: während Peter Schneider sich gedrängt sah, anzumerken, daß es auch im Westen Menschen gab und nicht nur Geldhaie, konnten die DDR-Autoren sich wieder einmal zuschreiben, „wesentliche Erfahrungen“ gemacht zu haben (Wolf), „seit 1917 an der Weltgeschichte partizipiert zu haben“ (Mickel), noch im Schmerz um den Verlust einer Hoffnung das Maß an Utopie in ihr zu verspüren (Wolf). Kein Wort über Neubewertungen, keine neuen Sichtweisen, kein Rekapitulationsansatz von 40 Jahren Sackgassen-Literatur. Bedauernswert empfand Christa Wolf die gegenwärtige Situation in der DDR: die starke Desolidarisierung, die Selbstzerstörung, die am Werke sei, aber auch die Ansätze zu Nostalgie und Verklärung des Gewesenen. Für Jurek Becker war es eine lebensbeeinträchtigende Erfahrung, daß sich der Sozialismus zu seinen Lebzeiten nicht mehr erholen wird. Was übrigbleibt, sei wenig, aber immerhin: 40 Jahre andere Erfahrung, die auch noch eine gewisse Zeit nach der Vereinigung eine Grenze zwischen der einen und der anderen Literatur ziehen wird.

Michaela Ott

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen