Solar- oder Atomwasserstoff?

Wenige Kilometer von der Ex-WAA-Baustelle in Wackersdorf wird die alternative Energiezukunft geprobt / „Kinderkram“ nennen die Atomiker das Projekt, während in den einschlägigen Vorstandsetagen schon über die Atom-Wasserstoff-Zukunft nachgedacht wird  ■  Von Bärbel Petersen

Theodor Eckel ist verunsichert. Seine Zuhörer löchern ihn mit ungewohnten Fragen. Er weiß, wer seine Gäste sind, und so hat er Mühe, ihnen das Projekt schmackhaft zu machen. Vor ihm sitzt die „Konkurrenz“: Atomiker aus der Bundesrepublik, der DDR und Frankreich, die gekommen sind, das Solar -Wasserstoff-Projekt im oberpfälzischen Neunburg vorm Wald in Augenschein zu nehmen.

Bevor Eckel seine Besucher zu den einzelnen Anlagen führt, weist er sie in die Technik der solaren Wasserstofferzeugung ein. Das Prinzip ist denkbar einfach: Solarzellen erzeugen Strom, mit dem Elektrolysebäder betrieben werden, in denen reines Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Wasserstoff läßt sich vielseitig verwenden, vor allem aber speichern.

Erste Modelle einer Solar-Wasserstoff-Anlage wurden bereits in den fünfziger Jahren entworfen. Aber erst jetzt, 3O Jahre später, soll in Neunburg der Schritt aus den Labors in die Praxis geprobt werden. Das Bayernwerk, größter bayerischer (Atom-)Stromerzeuger, habe sich dem Wasserstoff historisch verpflichtet gesehen, erklärt Eckel seinen skeptischen Zuhörern. Daneben seien noch MBB, Siemens, BMW und Linde ein Spezialist für technische Gase - Partner beim Oberpfälzer Wasserstoff-Vorhaben.

Alternativbetriebe mit atomenergiekritischem Background sind das nicht. Und so gibt gerade ihr Engagement reichlich Anlaß für Spekulationen. Doch dazu später. Wenige Kilometer entfernt vom damals noch aktuellen Moloch WAA Wackersdorf wurde der gebeutelten Oberpfälzer Bevölkerung das „Zuckerl“ Solar-Wasserstoff zum Ausgleich angeboten. Der Grundstein liegt seit Mai 1988 in der Erde. Auch wenn Neunburg vorm Wald nicht zur sonnenreichsten Gegend zählt, sind die klimatischen Faktoren günstig: nebelarm und wenig Hagel.

Eckel ist seit Jahresbeginn für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Deshalb bittet er die Gäste um Nachsicht, wenn er nicht alle Fragen exakt beantworten kann. Aber sie lassen nicht locker. Und als er schließlich einräumt, daß man noch am Anfang stehe, entgegnet ein Atomfreund entrüstet: „Das ist doch alles nur Kinderkram!“

Gleich hinter dem Empfangsgebäude schließt sich das Solarfeld an. Die bläulich schimmernden Zellen heben sich vom Grün des umgebenden Kiefernwaldes ab. Ihre Farbe verdanken sie dem Silizium. Dieses hochempfindliche Element ist zwischen zwei Kunststoffschichten eingebettet und unter Glas geschützt installiert. Die Glasscheiben müssen möglichst staubfrei bleiben, damit das Sonnenlicht ungehindert passieren kann. Für saubere Scheiben sorge normalerweise schon der liebe Gott mit seinem Regen, meint Ecker. Aber wenn die Kiefern stäuben, wie gerade jetzt im Frühjahr, sei das durchaus problematisch. In den Siliziumzellen wird das einfallende Licht in elektrischen Strom umgewandelt. Diesen Umwandlungseffekt nennt man Photovoltaik. Allerdings entsteht immer nur aus einem kleinen Teil des Sonnenlichts Strom. Der Wirkungsgrad liegt in Neunburg bei 10 bis 15 Prozent. Mit den inzwischen 3.000 Quadratmetern installierten Solarzellen werden jährlich rund 300.000 Kilowattstunden erzeugt. Das entspricht dem Stromverbrauch von etwa 90 Haushalten. Aber nicht sie sollen davon profitieren, sondern ein chemisches Verfahren, die Elektrolyse.

Von außen sieht das Gebäude aus wie eine große Holzhütte. Hier sind die Elektrolysebäder untergebracht, in denen sich pures Wasser befindet. Mit Hilfe von Strom, in diesem Fall also Solarstrom, kann das Naß in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Der Vorteil: Beide Gase lassen sich speichern und beliebig weiterverwenden. Wasserstoff liefert Kraftstoff für Motoren. Er speist Brennstoffzellen, in denen in sonnenarmen Zeiten aus dem gespeicherten Wasserstoff umweltschonend Strom erzeugt wird. Das Gas kann einen Gasmotor mit Generator betreiben, also ebenfalls Strom erzeugen oder in einem Gasheizkessel zur Wärmegewinnung genutzt werden. Der für die Verbrennung notwendige Sauerstoff kommt dabei entweder aus der Luft oder aus dem Sauerstofftank. Als Abfallprodukt entsteht neben geringen Mengen Stickoxid wieder Wasser in Form von schlichtem Wasserdampf.

Wasserstoff ist also brennbar, unter bestimmten Umständen sogar explosiv. Einige der Besucher scheinen froh darüber. Ecker setzt bekanntes Schulwissen dagegen. Wasserstoff sei nämlich sehr leicht, 15mal leichter als Luft. Demzufolge steige das Gas bei Undichtigkeiten sofort auf, verdünne sich in Luft und verliere seine Zündfähigkeit. Für Ecker ist Wasserstoff nicht gefährlicher als andere Brennstoffe. Mit Explosionen in Atomreaktoren sei ein Wasserstoffunfall schon gar nicht zu vergleichen.

Mit der Wasserstoffproduktion ist in Neunburg vorm Wald gerade erst begonnen worden. Noch sind die Tanks nicht gefüllt. Ecker räumt ein, daß die Produktion noch zu teuer sei. Allein das Pilotprojekt habe bisher 70 Millionen Mark verschluckt. Fünfzig Prozent stammen aus staatlichen Fördermitteln. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie hat 35 Prozent übernommen, 15 Prozent das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr. Ein Watt photovoltaisch erzeugte Energie kostet hier noch 15 bis 20 DM. Für die versammelte Atomgemeinde ein Grund zur Freude. „Noch liegen die Preise für Solarzellen bei rund 50 DM pro Quadratmeter“, untermauert Ecker die frohgemute Skepsis der Gäste. „Aber“, fährt er optimistisch fort, „in 30 Jahren muß man für die gleiche Fläche bestimmt nur noch 2 DM zahlen.“ Solarzellen und Elektrolyseanlagen werden, erstmal in Serie produziert und technisch voll ausgereift, um ein Vielfaches billiger. Beim Vergleich mit den Konkurrentnen Kohle und Atomstrom werden zudem die Folgekosten der Alttechnologien notorisch vergessen. Treibhauseffekt oder ein Atomunfall werden eben nicht von den Stromkonzernen bezahlt.

Theodor Ecker hat seine Zweifel, ob sich solarer Wasserstoff in der Bundesrepublik durchsetzen wird. Wenn dieses Projekt jedoch Fuß fassen sollte, will das Bayernwerk auf jeden Fall davon profitieren (was die Besucher aus der Atomzunft an diesem Tag offenbar noch nicht realisiert haben). Warum erinnert sich gerade dieser Stromgigant an die Kraft der Sonne und holt das unterschätzte Gas aus seinem Schattendasein? Warum entdecken die Atomkraftwerks-Bauer Siemens, die Waffenschmiede Messerschmitt-Bölkow-Blohm und der Autohersteller BMW ihr Herz für die Sonne? Für die bayerischen Grünen ist das Projekt in Neunburg ein gigantischer Etikettenschwindel. Tatsächlich gehe es Bayernwerk und Co. lediglich um die Technologie zur Wasserstoffgewinnung aus Strom. Der jedoch könne ebensogut aus Atomstromüberschüssen bereitgestellt werden.

Weit hergeholt? Im vor vier Wochen vorgestellten Grundsatzpapier der bundesdeutschen Stromkonzerne (einschließlich Bayernwerk) wird eine alte Idee aufgegriffen. Es könne sich als notwendig erweisen, ist dort zu lesen, Hochtemperatur-Reaktoren „für die Spaltung von Wasser bereitzustellen“.