piwik no script img

Harte Zeiten für Journalisten in Chile

Die Ex- Oppositionellen sitzen an den Fleischtrögen und sind nicht mehr zu sprechen  ■  Aus Santiago Gaby Weber

Santiago (taz) - Wie einfach war es doch, während der Diktatur als Auslandsjournalistin zu arbeiten! Die Türen aller Oppositionspolitiker standen weit offen, sie liefen uns förmlich hinterher, um noch ein Statement loszuwerden. Und selbst die dressierten Technokraten des Presseamtes des Regimes vermittelten - zumindest auf mittlerer Ebene Gesprächspartner.

Im März ging im Andenstaat nach 16jähriger Unterbrechung wieder die Sonne der Demokratie auf, aber für uns brachen harte Zeiten heran! Die früheren Politiker, die in uns stets publizistische Brückenköpfe zu den finanzkräftigen Stiftungen gewittert hatten, sitzen inzwischen am Trog. Und auch manch Ex-Revoluzzer ließ sich mit einem Pöstchen ausstatten. Die Verbündeten von einst kennen uns nicht mehr, Interviews sind lästig. Am Telefon lassen sie sich verleugnen und sind stets in Eile.

Viele Ex-Linke haben sich in den Regierungsfluren häuslich eingerichtet. Um die Ehefrau des Sozialistenchefs zu versorgen, wurde das Amt des (sic!) Frauenbeauftragten gegründet, statusgemäß mit Ministerrang aber ohne entsprechende Entscheidungsbefugnisse. „Nein“, verrät mir mein umweltschützender Freund am Telefon, der inzwischen seinen Schreibtisch ins Finanzministerium verlagert hat, „ich kämpfe nicht gegen diese Regierung sondern gegen die Unternehmer.“

„In welchem Hotel sind Sie erreichbar?“ Schon bin ich unten durch. „Ach, Du wohnst privat?“ Aber auch die Kollegen, deren Redaktionen das „Carrera“ oder das „Sheraton“ als angemessene Absteige betrachten, haben nicht viel bessere Karten. Die chilenische Mittelschicht ist zur alt bekannten Gewohnheit des Politik-Machens zurückgekehrt. Glücklicherweise kennt man jetzt wieder den Unterstaatssekretär oder hat mit seiner Sekretärin ein Verhältnis. Und wie viele bürokratische Hindernisse lösen sich dank des „Companero“ in Luft auf? Verflucht sei das Amt, in dem kein ehemaliger Oppositionspolitiker einen Stuhl erklommen hat! Die Mittelschicht hat wieder den ihr gebührenden Platz eingenommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen