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Dank an Daimler

■ Zweite Folge der Serie: Die Stadt, das Geld und die Demokratie - Der Streit um den Potsdamer Platz

Dieter Hoffmann-Axthelm

Der Griff des Daimler-Konzerns ins Herz des Potsdamer Platzes hat den schwebenden städtebaulichen Streit auf den Punkt gebracht. Die Verantwortung liegt aber beim Berliner Senat. Es wäre weltfremd, von einem Maxikonzern zu erwarten, seine Stellung als nationaler Führungskonzern nicht auszunutzen, nur um Berliner Empfindsamkeiten zu schonen. Es ist vielmehr Sache der Stadt, und in erster Linie ihrer Politiker, den Zugriff zu dosieren und ihm Bedingungen zu setzen. Der Senat dagegen hat sich subaltern verhalten.

Dennoch besteht kein Anlaß, in Klagerufe auszubrechen. Daß jetzt endlich positiv und methodisch überprüfbar diskutiert werden muß, verdanken wir dem präpotenten Konzern. Man muß den Vorstoß von Daimler also als Chance begrüßen. Mit einem Schlage ist das ganze Reden über die Qualitäten, die die Stadt ausmachen sollen, konkret und politisch geworden. Der Vorstoß von Daimler verlangt von der Stadt eindeutige Antworten. Auf historische Straßenkanten, Traufhöhen usw. hat man sich bislang allzu schnell einigen können. Wer jedoch jetzt noch behauptet, er könne, obwohl mehr als die Hälfte des verfügbaren Geländes von einem einzigen Investor bebaut werden soll, Stadtvielfalt, historisches Gedächtnis, Funktionsmischung und anderes Schönes mehr verwirklichen, deckt nur die doppelte Buchführung auf, derer er sich bedient: Für die öffentliche Diskussion hat man seine kulturellen Standards, um nicht als Barbar von den Medien zerrissen zu werden. In der Sache hält man sich an die Mächtigen und das gute Gefühl, ihnen nicht im Wege zu sein. Gegenteilige Meinungen gelten neuerdings als elitär.

Die Kritiker des Berliner Baugeschehens haben noch mehr Gründe, sich bei Daimler zu bedanken. Wer interessierte sich bislang schon für das städtebauliche Handwerk, für die formalen Regeln, die einen Stadtort überhaupt städtisch bebaubar werden lassen? Bilder sollten es sein, Metaphern und Symbole, Türme und dekonstruktive Hochhäuser. Architektur war gefragt, große Ideen, je utopischer, desto besser. Die Erkenntnis, daß die Spielfläche verloren ist, wenn der Koloß erst einmal steht, sechsgeschossig historische Traufhöhe -, wird zum Schock. Mit einem Schlage muß die Frage beantwortet werden, wie das Gelände angegangen und organisiert werden soll.

Alle rufen jetzt nach Zeit. Aber Zeitlassen verschiebt nur. Es soll ja nicht das Bauen überhaupt zerredet werden, sondern es geht ums richtige Bauen. Das ist erst einmal keine Frage der Architektur, sondern des Rasters, das die Nutzungen organisiert. Die Stadt ist seit ihrer Gründung ein Verteilungsschema, das die Zuteilung von Macht mit der Zuteilung von Grundstücken verknüpft. Daß die Stadt heute das nicht mehr ist, was sie einmal war, wissen wir. Daß aber das Verteilungsproblem nach wie vor eine politische Bedeutung hat, das stellt nicht zuletzt Daimler gerade dankenswerterweise unter Beweis.

Wir befinden uns wieder in einer Gründersituation. Deswegen ist der Hinweis nicht überflüssig, daß das Gelände ja nicht von Daimler offen oder über Strohmänner aufgekauft wurde, wie das im normalen innerstädtischen Dschungel passiert, wenn eine Bank oder ein Kaufhauskonzern die Politik vor vollendete Tatsachen stellen. Hier ist das Gelände aus besonderen historischen Bedingungen heraus weitgehend noch in öffentlicher Hand. Das Verteilungsproblem löst sich also, ganz gleich, wie die absehbaren Auseinandersetzungen mit früheren Eigentümern ausgehen werden, nicht privat, sondern nur politisch. Was das heißt, das ist der Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung. Heute, in der neuen Gründerzeit, kann nicht mehr - wie zu Zeiten der Fordansiedlung im Westhafen - dem Investor Grund und Boden mehr oder minder geschenkt werden. Vielmehr muß ernsthaft und unter Konkurrenzbedingungen verteilt werden. An Beratung (ich schreibe dies als Mitglied der Gruppe 9. Dezember) fehlt es nicht: Die Politik braucht sich nur der städtebaulichen Instrumentarien oder Gegebenheiten zu bedienen, die da sind.

Ganz unerwartet entdecken wir eine fantastische Verknüpfung von politischer Vernunft und Parzelle. Von städtischen Einzelgrundstücken zu reden, galt bisher als der Gipfel der Kleinkariertheit. Aber jetzt - Daimler sei Dank - beginnen auch reine Stadtästheten zu erkennen, daß die Stadt aus einzelnen Grundstücken besteht und daß das etwas mit Demokratie und der Rolle des Kapitals in der Demokratie zu tun hat. Im Kopf sind wir ja alle moderne Stadtplaner: Man tut so, als wäre die Stadtfläche eine ebene Tafel, die so oder auch ganz anders bebaut werden könne. Wer sich mit Grundbüchern auskennt, weiß, daß nichts, oder fast nichts, in unserer Reichweite nicht irgendjemandem gehört, vermessen und über lange Zeiträume kontrolliert ist. Das ist oft ärgerlich, aber es bedeutet ein Gegengewicht gegen die großen Vereinheitlicher und gegen Planerwillkür, also sowohl gegen eine Diktatur des Kapitals wie eine des Staates. Wenn uns das private Eigentum an Grund und Boden ärgert, dann verrät das immer auch gewisse diktatorische Gelüste autoritärer Vernunft, deren Lösungen die moderne Städtebaugeschichte das allertiefste Mißtrauen entgegenzubringen lehrt.

Wenn seit nunmehr zehn Monaten, wie man hört, zwischen Daimler und Westberliner Senat die Verhandlungen laufen, stellen sich einige Fragen grundsätzlicher Art: Wie eng und innig darf eigentlich das Verhältnis zwischen einer öffentlichen Verwaltung und einem nationalen Großkonzern sein? Daß Edzard Reuter, der Sohn des einstigen großen Bürgermeisters, sich für Berlin interessiert, mag ja sein. Tatsache ist, daß Mercedes jetzt (das heißt, seit dem Aufbruch in Osteuropa, geht es ja um den osteuropäischen Markt, nicht um Berlin oder die DDR) verstärkt nach Berlin geht und nicht vor fünf Jahren, wo es für Berlin (etwa im Werk Marienfelde) wichtig gewesen wäre.

Was andererseits bewegte den Westberliner Senat? Die Antwort scheint einfach: Angesichts auslaufender Berlin -Förderung brauche man diese Arbeitsplätze. Das ist sicher richtig, aber zuvor wäre das Grundsätzliche zu diskutieren gewesen: Müssen es diese Arbeitsplätze sein? Brauchen sie unbedingt die symbolische Verwortung, ja können sie überhaupt geballt an diesem Ort sein? Muß es überhaupt Daimler sein? Wäre, stadtegoistisch gesehen, Mitsubishi nicht genauso gut, und nicht nur Mitsubishi, sondern noch viele andere Weltfirmen? Wie steht es also mit dem Vertrauen in die Regeln der Marktwirtschaft?

Natürlich steckt da auch ein Stück Nationalismus drin, am falschen Platz. Zugleich tritt aber ein Moment der SPD -Geschichte zutage. Zwei Motivreihen dürften hier zusammenkommen, die man als unterschiedliche Gesichter eines grundsätzlichen Vertrauens zur Großform lesen kann: die Leidenschaft für Großkonzerne und die für Städtebau in Form von Großsiedlungen, Städten in der Stadt. War es nicht die Hilferdingsche These vom organisierten Kapital, mit der die SPD sich in den zwanziger Jahren ihr eigenes Grab grub? Je organisierter, desto näher am Sozialismus - damit förderte man die Kartelle, somit nicht zuletzt die Schwerindustrie, die sich dann für Hitler entschied. Andererseits entstanden unter SPD-Führung die großen Siedlungsvorhaben, jeweils von einer einzigen öffentlichen Baugesellschaft errichtet Modelle einer neuen Gesellschaft. Nur der Kurzschluß beider Linien gelang der SPD nicht so recht. Der Sozialdemokrat Martin Wagner hatte es immerhin energisch versucht, beispielsweise mit der Riesensiedlung, die auf dem Schöneberger Südgelände mit amerikanischem Kapital errichtet werden sollte. Der Bezug auf Martin Wagner, den Organisator der öffentlich Baugesellschaften, ist nicht ganz willkürlich. Der berühmte Bürgermeister, Vater des heutigen Daimler-Chefs, war in den zwanziger Jahren Berliner Stadtrat für Verkehr und plante mit Martin Wagner zusammen die Verautobahnisierung der Innenstadt. Damals wurde von ihnen jene Rennbahn Leipziger Straße entworfen, die wir dank der DDR-Politik heute haben und die jetzt über den Potsdamer Platz nach Westen weitergeführt werden soll. Die richtige „Großzügigkeit“ erreichte die SPD jedoch erst in den sechziger Jahren, als sie bezahlbar war. Die Großvergabe prägte in Berlin die Sanierung wie die Herstellung des Märkischen Viertels und der Gropiusstadt. Als schließlich im letzten Jahr zu Beginn der Rot-Grün-Koalition ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm verkündet wurde, gab es immer noch keine andere Vorstellung, als daß es die öffentlichen Träger zu sein haben, die das zu leisten hätten.

Die Alternative zu Daimler kennen wir also. Mehr als die Wahl zwischen DeGeWo und Daimler ist nicht vorgesehen. In der Daimler-Option verfolgt die Berliner SPD noch einmal die alte Neigung, ein städtebauliches Problem als Großmaßnahme zu lösen. Mit dem feinen Unterschied, daß es nicht die DeGeWo, sondern Mercedes ist. Es wird genau das eskamotiert, was den normalen, nichtverstaatlichten Kapitalismus für die Nutznießer so erträglich macht, die Konkurrenz.

Das ist das Hilferdingsche Erbe: Angst vor dem Markt und geheime Sympathie jenen Kolossen gegenüber, die ihn durch Übermacht auszuschalten wissen, wo also dieselbe Organisation, Mittelmäßigkeit und Verläßlichkeit herrschen wie im eigenen Lager. Das Stück, das mit Daimler und der SPD jetzt in Berlin aufgeführt ist, ist über drei Jahre hinweg schon in Florenz gelaufen: Die Fiat-Terrain-Gesellschaft Fiat ist im Stadtentwicklungsgeschäft schon längere Zeit tätig, durch den Kauf der führenden Terrainentwicklungsgesellschaft - wollte in Florenz einen neuen Dienstleistungsstadtteil bauen. Das Projekt wurde allerdings mit harten Auflagen - gerade von den Kommunisten mit Überzeugung getragen. Der Vertrag platzte 1989 im letzten Augenblick. Die Parteispitze intervenierte, um für Ökologiewähler glaubwürdig zu bleiben.

Konkurrenz öffnet dagegen, wenn die öffentliche Hand weiß, was sie will, Spielräume demokratischer Kontrolle. Mit großem Erfolg wurde zum Beispiel im Rahmen der IBA in der Friedrichstadt das Instrument des Bauherrenwettbewerbs angewandt, um die Monopolgelüste einzelner Bauträger zu kontrollieren. Warum sollte am Potsdamer Platz ein solches Instrument öffentlicher Kontrolle nicht ebenfalls eingesetzt werden? Die Stadt kann, als Grundeigentümer, Bedingungen stellen, nicht zuletzt dadurch, daß sie Eigentümer bleibt. Sie kann das Gelände, ob als Paket oder kleinparzelliert, in Erbpacht vergeben. Das ist schließlich ein bewährtes, in Berlin seit dem 17. Jahrhundert breit angewandtes Verfahren.

Gerade wenn man diese Konstruktionsfrage Westberliner Baupolitik ins Auge faßt, fragt sich, in welcher Funktion Daimler hier eigentlich auftritt - als Betrieb, der zur Abwicklung seiner Geschäfte eben so viel Fläche braucht und entsprechend viele Arbeitsplätze schafft, oder als normaler Investor, der an den steigenden Grundstückpreisen verdienen will und seine Eigenschaft als Vergeber von Arbeitsplätzen benutzt, um sich ein Monopol für den städtischen Boden zu verschaffen? Daß ein billig erworbenes zentrales Gelände, entsprechend ausgebaut und weitervermietet, nicht zuletzt einen bequemen Grundstock für einen neuen Dienstleistungsbereich des großen Konzerns abgibt, kann man sich durchaus vorstellen.

Mercedes hat zugegeben, daß für die eigenen Zwecke von den geforderten 240.000 Quadratmeter Nutzfläche nur 60.000 Quadratmeter benötigt werden. Was werden sie mit dem Rest wohl machen - wohl doch nichts anderes als ein Londoner Developer auch machen würde. Warum aber macht die Stadt dann nicht gleich das Geschäft selber und entlastet damit den westdeutschen Steuerzahler? Die Frage bleibt stehen, auch wenn inzwischen der durchgesickerte Kaufpreis dementiert und ein marktgerechterer Preis in Aussicht gestellt wurde.

Beunruhigend ist der Umgang mit dem Gelände noch aus einem anderen Grund. Es geht auch um die historische Moral. Auch die hat etwas mit den vorhandenen Realitäten zu tun, den schon erwähnten Grundbüchern. Es ist doch eine merkwürdige Fiktion der Verantwortlichen, gerade an dieser Stelle und so vollmundig die historisch exzeptionelle Bedeutung des Geländes zu betonen und zugleich von „normalen Verhältnissen“ auszugehen. Als hätte es die Arisierungen unter den Nazis nie gegeben! Wie kann der Senat so tun, alles, was man der DDR oder sonst jemandem in den letzten vierzig Jahren abgekauft habe, sei voraussetzungslos Landeseigentum? Verstaatlichung ist kein Persilschein warum sollte sie sauberer waschen als privater Erwerb? Von dem Gelände, auf dem der Volksgerichtshof lag, nimmt man ohnehin schon seit langem keine Notiz: teils ist es Straßenland geworden, teils wird es jetzt Daimler zum Kauf angeboten, teils soll es (im nördlichen Teil) dem falsch geplanten Filmzentrum zur Verfügung stehen.

Einmal mehr steht man also vor der Realität des städtischen Einzelgrundstücks, der Parzelle. Die Forderung, keine Verfügung über Grundstücke zuzulassen, deren genaue Herkunft nicht geklärt ist und deren Unrechtsanteil wenigstens nach der finanziellen Seite abgegetragen ist, kann im Grunde niemand abweisen. Es bleibt aber nachzuweisen, daß das keine bloße Sache der Moral oder eines städtebaulichen Historismus ist, sondern ohne Umschweife das Gegenwartsproblem des Städtebaus. Der Zugriff des Daimler-Konzerns hat allen eine Erkenntnis aufgezwungen: Die bisherige Planungstechnik der Schnellstraßen, Cityblöcke und Stadtrandsiedlungen ist nicht mehr möglich. Es muß grundsätzlich umgedacht werden.

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