: „Unverständlich, was diese kleinen Neger im Blut haben“
■ Autobiographie eines Ruanders - Die Odyssee des Zentralafrikaners Shyirambere Barahinyura über Moskau nach Frankfurt / Geheimdienste heften sich an seine Fersen / Nachdem der Vater aus Ruanda ins Exil muß, beginnt der Sohn die Opposition gegen die autokratische Herrschaft zu organisieren
Niemals im Leben werde ich den Tag vergessen, an dem ich zum ersten Mal in das Zimmer von Herrn Seidel im vierten Stock des Hauses an der Mainzer Landstraße 323 eintrat, der Ausländerbehörde in Frankfurt. Die Reaktion des Herrn war niederträchtig und verkörperte eine perfekte Arroganz. Hinter einem besonders großen Tisch saß er. Seine Art mir gegenüber begann schneidend kalt so: „Was willst Du hier?“ „Herr Seidel, ich komme her, um meine Aufenthaltsge...“ „Wo ist sie?“, unterbrach er mich und fuhr fort: „Gib sie her!“ Er schaute sie zunächst an und sagte dann von oben herab: „Nein! Ich kenne Euch. Von mir erhälst Du nichts. Geh dahin zurück, wo Du hergekommen bist!“ Er sah aus, wie ein verletzter Büffel, voller Zorn und Bosheit, als hätte ich ihm persönlich etwas angetan.
Ein Ruander vor der deutschen Ausländerbehörde. Wir kennen ähnliche Dokumente. Aber Shyirambere J. Barahinyura schildert in seiner Autobiographie die Erniedrigungen, die er hier erdulden mußte, vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in der Sowjetunion. Dort konnte er beim Pförtner des geschlossenen Ausländerstudentenheims wenigstens gegen eine Schachtel Marlboro Besuch über Nacht behalten. Er schildert nicht nur, er schafft es, deutsch zu erzählen und dabei die afrikanische Erzählkunst beizubehalten. Wie kommt ein Ruander nach Leningrad? Ein Moskau-Treuer aus Zentralafrika? Keineswegs. Als Zeichner von Briefmarken bei der Post in Ruanda überlegte sich Barahinyura, wo er am günstigsten studieren könnte und bewarb sich in der unbeliebten Sowjetunion, weil er sich dadurch größere Chancen ausrechnete. Heute lebt er mit seiner Frau unter dem Schutz der Polizei als politischer Asylant in Frankfurt und schreibt gegen das pro-westliche Regime in Ruanda.
Seine Geschichte beginnt mit dem Leben auf dem Land in Ruanda, mit Intrigen und Rivalitäten. „Mein Junge, diese Frau ist meine zweite Frau, das heißt, daß ich ab jetzt mit zwei Frauen verheiratet bin“, begrüßt ihn sein Vater nach dem ersten Schultag. Der kleine Shyirambere freut sich über die schönen Hände der neuen Frau. Und stellt sich als Autor gegen die Befürworter afrikanischer Polygamie, die behaupten, es gäbe keine Eifersucht, Polygamie sei Bestandteil afrikanischer Kultur, deren Identität nicht zerstört werden dürfe.
Die eigenen Erfahrungen und seine Abstraktionen faßt Barahinyura mit wunderbaren Sprichworten zusammen, wie diesem: Dort, wo der Ärmste der Armen etwas zum Trocknen hinlegt, scheint die Sonne nicht. Seine Karriere wäre beinahe nach der sechsten Klasse beendet gewesen. Obwohl er nach einem langen Fußmarsch in die Hauptstadt die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium geschafft hatte, fehlte er auf der Liste. Der Name eines Mitschülers war dafür eingetragen, dessen Vater dem Direktor eine Kuh geschenkt hatte.
Entwicklungshelfer, die in die Dritte Welt gehen, werden mit Kursen vielfältig auf das Fremde vorbereitet. Barahinyura hingegen wurde geradewegs katapultiert „in das Land, wo die Mutter das Schreien ihres Kindes nicht mehr hört“. Beim Umsteigen in Entebbe rennen die Stipendiaten auf dem Rollfeld der Maschine der Aeroflot entgegen, wie sie immer hinter dem Bus herliefen, in dem es sonst keinen Platz mehr gab. Ohne ein Wort Russisch zu können und ohne Begleitung stehen sie in Moskau. Kritisch gegenüber seinen afrikanischen Kommilitonen zeigt Barahinyura, wie sowjetische Mädchen mit Waren aus West-Berlin weichgemacht werden. Als Ausländer dürfen sie dort einkaufen. Kritisch aber auch gegenüber den Einheimischen: Was hat denn ein Affe an einer Bushaltestelle zu suchen, der gehört doch in den Zoo. Als er unter den Augen der Miliz von drei Jugendlichen zusammengeschlagen wird, versteht einer der Milizionäre, der ihn als Schuldigen festnimmt, nicht, was „diese kleinen Neger im Blut haben“.
Im Mehrbettzimmer des Heimes wird geklaut, die ruandische Botschaft will ihn als Spitzel gegenüber den Landsleuten einsetzen, und eine Drucksache der Deutschen Welle macht ihn in den Augen des KGB zum Spion. Er wird verhört, hält es nicht mehr aus und flüchtet abenteuerlich in die Bundesrepublik.
Nur am Rande beschreibt Barahinyura, wie sich seine oppositionelle Haltung gegenüber dem neuen Regime in Ruanda entwickelt. Sein Vater muß ins Exil gehen und als die ruandische Einheitspartei den Autor in der Bundesrepublik zum Zwangsmitglied machen will, stellt er sich dagegen und beginnt, die Oppostion zu organisieren. Als Miesmacher der Länderpartnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda sitzt er wieder mal zwischen allen Stühlen. Um so mehr, als selbst der von ehemaligen EntwicklungshelferInnen und Ruandern gegründete Freundschaftsverein völlig unkritisch die ruandische Regierung bis heute unterstützt. In seiner Autobiographie fehlt, von welcher Seite Barahinyura dann von völlig unerwartet Hilfe erhielt. Als der ruandische Geheimdienst ihn in Frankfurt suchte - Barahinyura war dabei, sein Buch gegen Ruandas Präsidenten zu schreiben schützte ihn die politische Polizei Frankfurts. Und als ihn Anfang des Jahres ein französischer Geheimagent besuchen wollte, legte diesem die politische Polizei Handschellen um, bis sich herausstellte, daß er unbewaffnet war.
Wieland Giebel
Shyirambere Jean Barahinyura: Aus dem „Busch“ zu den „Zivilisierten“. Editions Izuba, PF 50 07 13, 6000 Frankfurt 50, 36,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen