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Haben die Gegner von Rot-Grün eine Alternative?

■ Das Fundament der rot-grünen AusländerInnen- und ImmigrantInnenpolitik ist dünn, aber ohne Alternativen

Das Gerede vom Koalitionsbruch ist so alt wie die rot-grüne Koalition selbst. Seit März 1989 kommen nicht nur Journalisten, sondern auch viele BerlinerInnen und nicht zuletzt einige ALerInnen auf ihre Kosten. Auf der kommenden Vollversammlung soll nun, so scheint es, die letzte Stunde der Koalition eingeläutet werden.

Ein Streitpunkt zwischen AL und SPD, der den letzten Anstoß zum Kippen der Koalition geben könnte, ist die von beiden Parteien mit Überzeugung vereinbarte AusländerInnenpolitik. Zwei Sachpunkte stehen dabei im Vordergrund: das kommunale Wahlrecht und der AusländerInnenerlaß.

Während viele Menschen in der Stadt mit Spannung Gesamtberliner Wahlen entgegenblicken und dabei die AusländerInnen in Ost-Berlin mitwählen, werden die AusländerInnen im Westteil der Stadt trotz Koalitionsvereinbarung in die Röhre schauen.

In der Angst oder auch Hoffnung, daß das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das kommunale Wahlrecht ablehnt, drückt sich die SPD-Spitze vor der Entscheidung. Diese Verzögerungstaktik wird auch die Richter in Karlsruhe in Richtung Ablehnung beeinflussen. Sie sind auch Menschen - und wie alle Menschen - parteilich. Nicht nur die AL, sondern auch der größte Teil der SPD fühlt sich von der SPD-Spitze über den Tisch gezogen. Die SPD ist hier

-nicht nur wegen der Koalitionsvereinbarungen mit der AL, sondern auch wegen ihres Wahlversprechens gefordert, einen eindeutigen Fahrplan vorzulegen und schon vor dem Karlsruher Urteil das kommunale Wahlrecht zu verabschieden.

Für die lasche Handhabung und Verzögerung dieser Koalitionsvereinbarung ist die SPD hauptverantwortlich. Diese SPD-Politik nehmen nun einige ALerInnen, darunter auch solche, die die Koalition bis vor zwei Monaten noch voll mitgetragen haben, zum Anlaß, den Bruch zu fordern.

Trotz aller berechtigter Frustration: Uns würde stark interessieren, welche Alternativen sich diese Gegner von Rot -Grün zur gegenwärtigen Koalition vorstellen können? Ein Koalitionsbruch wäre ausländerInnenpolitisch nicht zu verantworten. Jede denkbare Alternativregierung (ohne AL) ist bei der heutigen ausländerpolitisch schwierigen Lage der BRD und DDR für ImmigrantInnen und Flüchtlinge katastrophal. Was wäre zum Beispiel mit den mehreren tausend Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten und Ostblockländern geschehen, die sich auf Grund der Flüchtlingsweisungen in Berlin aufhalten? Was wird aus den Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren, die unter dem rot-grünen Senat eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund der Familienzusammenführung erhalten? Was wird aus dem durch den rot-grünen Senat veränderten Bezirksverordnetengesetz, wonach AusländerInnen als gleichberechtigte Bürgerdeputierte an BVV-Ausschüssen mit vollem Stimmrecht teilnehmen können?

Daß die Bilanz rot-grüner Flüchtlings- und ImmigrantInnenpolitik trotz dieser Erfolge eine Enttäuschung ist, steht außer Frage. Die Schuld ist nicht nur bei der SPD zu suchen. Gleich nach der Regierungsbildung koppelte sich die für AusländerInnenpolitik zuständige AL-Politikerin mir ihrem Mitarbeiterstab von dem AusländerInnenbereich ab, für den sie gewählt worden war. Mit dieser Politik, der die Buntheit und Kreativität der Basis fehlte, konnten gegenüber der SPD und der konservativen Bürokratie viele Punkte der Koalitionsvereinbarungen nicht durchgesetzt werden. Gelitten hat darunter beispielsweise das geplante Antirassismusressort, das heute nur noch als Karikatur der ursprünglichen Idee existiert.

Fazit: Kein/e AusländerIn hängt im gegenwärtigen ausländerInnenpolitischen Klima irgendwelchen Illusionen nach, was eine grundlegende Verbesserung ihrer Rechte in der BRD und DDR betrifft - weder bei SPD noch AL. JedeR AusländerIn weiß sehr wohl um das dünne Fundament der AusländerInnenfreundlichkeit in beiden Parteien. Doch zu ihrer Koalition gibt es keine Alternative. Bei aller Skepsis: Auch im Bundesgebiet hoffen ImmigrantInnen auf rot -grüne Mehrheiten.

Giyas Sayan und Ismail H. Kosan sind Mitglieder des AL -Ausländerbereichs

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