: Germanissime Germanorum
■ S T A N D B I L D
(Draculas Erbe?, Kontext, Mi., 13.6., ZDF, 11.10 Uhr) Bilder des Untergangs: Sie flimmern nach dem Sturz Ceausescus im vergangenen Dezember häufiger über deutsche Bildschirme. Die multikulturelle Gesellschaft Rumäniens wird in ihrer schillernden Widersprüchlichkeit von westlichen TV-Teams entdeckt und zunehmend vermarktet. Roman Barner versucht in seinem Film Draculas Erbe? - Siebenbürgen im Aufbruch nicht nur die interethnischen Spannungen in Siebenbürgen zu dokumentieren, sondern auch den unausweichlichen Untergang einer rumäniendeutschen Minderheitengruppe. Nichts kann die Siebenbürgersachsen - ebenso wie die Banatoschwaben, die zweitgrößte deutsche Minderheit in Rumänien - davon abhalten, so rasch wie möglich in die Bundesrepublik - ins „Mutterland“, wie sie sagen - auszuwandern. Und daran ist nicht nur Ceausescu, „Dracula“, wie er in der ZDF -Dokumentation genannt wird, schuld, sondern auch die „konservative Politik der Landsmannschaft“, die jahrzehntelang den in Siebenbürgen zurückgebliebenen Landsleuten das Bild von einem deutschen Eldorado vorgegaukelt hatte.
Denn darum geht es ihnen in erster Linie, diesen deutschesten unter den Deutschen. In den rumänischen Staat haben sie kein Vertrauen mehr, trotz der nach der Revolution gemachten großzügigen Versprechungen. Und eine Zukunft in Rumänien gibt es für sie auch nicht mehr, denn, wie es an einer Stelle im Film heißt, die deutschen Männer könnten nur noch rumänische Frauen heiraten, was den nationalen Schrumpfungsprozeß nur noch mehr beschleunigen würde. Nur wenige bleiben. Auch in dem von Roman Barner als exemplarisch dargestellten siebenbürgischen Großau, einem Dorf, in dem früher die Rumänen und die Roma am Rande der Ortschaft leben mußten und das jetzt von den Schafherden der als fremd empfundenen Rumänen überflutet wird. Die evangelische Kirche kann die Sachsengemeinde nicht mehr zusammenhalten. Man bleibt unter sich, während des Gottesdienstes, bei der Konfirmation, in der Schule, bei den Familienfesten. Alle warten auf die Ausreisepapiere. Von 2.400 „Seelen“, die im vergangenen Jahr noch in Großau lebten, möchten jetzt fast alle weg. Nicht nur wegen der Rumänen, unter denen es auch „anständige Leute“ gibt, wie einer im Film sagt, sondern vor allem wegen der „Zigeuner, die ein schwächeres Volk“ sind. Germanissimi germanorum, ein Superlativ, auf das die Sachsen stolz sind und das sie „oben“ - in Deutschland also - durch das Auswandern bewahren möchten.
Der Assimilierungsdruck auf diese Minderheitengruppe war seit den zwanziger Jahren immer stärker geworden. Dann brachte Nazideutschland den Krieg über Europa. Daß die Sachsen mitmarschierten, freiwillig, sagt keiner. Der Zweite Weltkrieg, so lehrte ein rumänischer Dichter im vergangenen Dezember, endete in Rumänien mit dem Sturz Ceausescus. Für die Sachsen bedeutete dieses Ereignis ein Ende ihrer fast 800jährigen Existenz. Was übrig bleiben wird, sind die Kirchen, die zubetonierten Gräber, ihre Kultur, ihre in Mottenkisten verstauten Trachten, die sie im „Mutterland“ gelegentlich anlegen werden, ihre Sachsenhymne „Siebenbürgen, süße Heimat, unser teures Vaterland“. Und das Heimweh, das mit Larmoyanz verdrängt wird. Auch in dem Film von Roman Barner.
William Totok
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