Antiimperialistischer Konsens

■ DDR-Innenminister Diestel plaudert über Zusammenarbeit von MfS und früheren RAF-Leuten / Von der Stasi-Connection will Susanne Albrecht erst 1987 erfahren haben

Berlin (taz) -Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU) sonnte sich gestern in den Fahndungserfolgen. Die Rücktrittsforderungen, die von seiner eigenen Volkskammerfraktion noch letzte Woche erhoben worden waren, sind kein Thema mehr. Die Position des scheinbar wackelnden Ministers scheint nun gefestigter denn je. Diestel, der wegen seiner Politik in Sachen Stasi-Auflösung mitten ins Visier der Kritiker gerückt war, zeigte sich gestern am frühen Morgen bei einer Pressekonferenz in Ost-Berlin selbstbewußter denn je: „Die Fahndungserfolge kamen nach dem Zeitpunkt, da ich die Kriege gewonnen habe, die zu gewinnen waren“.

Stolz verkündete der Innenminister, bei dem früheren Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, Inge Viett, sei der Nachweis der Identität ebenso zweifelsfrei erbracht wie bei dem in der vergangenen Woche festgenommenen früheren mutmaßlichen RAF-Mitglied Susanne Albrecht. Dies habe ein Abgleich der Fingerabdrücke mit Materialien aus dem Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) ergeben.

Hatte es im Anschluß an die Verhaftung von Susanne Albrecht noch geheißen, sie sei auf ein Auslieferungsersuchen der Karlsruher Bundesanwaltschaft vom Frühjahr zurückgegangen, teilte der Minister gestern mit: „Anlaß der Ermittlungen gegen die Person von Frau Viett war das generelle Amtshilfeersuchen des BKA vom Frühjahr 1989.“ Die Wiesbadener Kriminaler hätten damals um die „Identitätsfeststellung und Festnahme von 28 terroristoschen Gewalttätern“ gebeten. Generalstaatsanwalt Hans-Jürgen Joseph ergänzte, das Ersuchen des Bundeskriminalamtes sei zwar im Ministerium des Innern eingegangen, die Generalstaatsanwaltschaft sei aber seinerzeit davon nicht in Kenntnis gesetzt worden.

Inge Viett will - nach Diestels Worten - mit den DDR -Behörden „kooperativ“ zusammenarbeiten. Aussagen, auch zur eigenen Person, wolle sie jedoch erst machen, sobald sie mit ihrem Anwalt Wolfgang Vogel gesprochen habe. Rechtsanwalt Vogel, früherer enger Vertrauter von Ex-SED-Chef Erich Honecker, vertritt auch die Verhaftete Susanne Albrecht.

Über die 46jährige Inge Viett teilte Diestel nur soviel mit, daß sie „Aussagen zum Verhältnis der Gruppe, in der Albrecht tätig war, sowie zu ihrer eigenen Gruppierung“ gemacht habe. Heute sei sie der Meinung, „daß die damaligen Methoden ihrer Gruppierung keinen Erfolg gehabt hätten“. 1980 hätte sie sich „freiwillig aus dieser Vergangenheit“ gelöst, und 1983 sei sie DDR-Bürgerin geworden.

Aufgrund der Aussagen Susanne Albrechts, deren Widerspruchsfrist gegen den Haftbefehl des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte gestern ablief, lüftete Diestel einen Teil des Geheimnisses um die mögliche Zusammenarbeit zwischen RAF und Staatssicherheit.

So soll Susanne Albrecht nach der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto seit 1977 im westlichen Ausland im Untergrund gelebt haben. Sie sei an keiner weiteren RAF-Aktion beteiligt gewesen. Susanne Albrecht sei von den eigenen Leuten als „Sicherheitsrisiko“ gesehen worden, weshalb ihr die RAF-Kommandoebene Ende 1979 vorgeschlagen hätte, mit einer neuen Identität künftig in der DDR zu leben. Wie es zu diesem Vorschlag gekommen sei, soll Susanne Albrecht nicht gewußt haben.

Einen ersten Kontakt mit DDR-Behörden habe es danach 1980 in Ost-Berlin gegeben. Von dort soll sie dann in den Bezirk Frankfurt/Oder gebracht worden sein. Ihre Kontaktpersonen hätten sich als Mitarbeiter der DDR-Regierung ausgeben. Nach Diestels Ausführungen wurde Frau Albrecht erklärt, man würde es begrüßen, wenn sie sich von der RAF lösen wolle - die Methoden der RAF würden von der DDR zwar abgelehnt, in der „antiimperialistische Orientierung“ gebe es aber Gemein samkeiten. Auch der Tarnname „Ingrid Jäger“ soll bei dieser Gelegenheit „erarbeitet“ worden sein. Daß es sich bei den „Regierungsmitarbeitern“ um Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit gehandelt habe, will Susanne Albrecht erst 1987 erfahren haben, als sie von Bekannten an ihrem Wohnort in Berlin-Marzahn darauf hingewiesen worden sei. Wie Diestel weiter erklärte, hat es nach den Aussagen von Susanne Albrecht anläßlich ihrer Übersiedlung in die DDR keine weitere „Informationsverpflichtung“ gegenüber der Stasi für die Neu-Bürgerin gegeben.

Wolfgang Gast