Iliescu räumt mit der Opposition auf

■ Vier Wochen nach der Wahl in Rumänien läßt der Präsident Bergarbeiter gegen die Opposition antreten

Bergleute und Soldaten machen in der Innenstadt von Bukarest Jagd auf Studenten und alle, die sie für Oppositionelle halten. Sie stürmten und plünderten die Zentralen der Oppositionsparteien. Iliescu, so die Opposition, zeigt sein wahres Gesicht. Bilanz von einem Tag und einer Nacht: sieben Tote, hunderte Verletzte.

Beißender Gestank in den Straßen der rumänischen Hauptstadt, qualmende Autoreifen, umgestürzte Polizeiwagen, Gewehrsalven, Sirenengeheul, patrouillierende Bergarbeiter, Arm in Arm mit Soldaten. In Bukarest scheinen die Uhren ein halbes Jahr zurückgedreht worden zu sein. Doch die beiden Schützenpanzer, die vor dem Polizeipräsidium in der Innenstadt aufgefahren sind und aus ihren Rohren Feuerstöße über die Köpfe der Menge hinweg schießen, stehen nicht mehr auf Seiten der revoltierenden Massen, sondern richten sich gegen diese. Die regierende „Front der nationalen Rettung“ von Staatspräsident Ion Iliescu hat der Opposition den Krieg erklärt. Über 50 Tage lang hielten Tausende den Platz vor dem Universitätsgebäude besetzt. Ihre Hauptforderungen: Keine Ex-Kommunisten in den staatlichen Institutionen für die nächsten zehn Jahre und Zugang der Opposition zu den immer noch staatlich kontrollierten Massenmedien.

Obwohl die Regierung unter Präsident Iliescu die Demonstranten immer wieder aufgefordert hatte, diese „sinnlosen“ Aktionen aufzugeben, kam die gewaltsame Räumung des Platzes am Mittwoch morgen völlig überraschend. Augenzeugen zufolge verließen zahlreiche Personen blutüberströmt den Ort. Schon am Abend gelang es den Anhängern der Opposition, den Universitätsplatz wieder zu besetzen. In der Nacht wuchsen sich die Auseinandersetzungen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus. Aus einem Gebäude der ehemaligen Geheimpolizei Securitate schossen Soldaten auf protestierende Massen. Demonstranten stürmten das Präsidium der regulären Polizei. Ein Teil des Innenministeriums brannte bis auf die Grundmauern ab. An die 8.000 Demonstranten belagerten das Bukarester Fernsehen. Ein Studio wurde über eine Stunde lang besetzt, bis Fallschirmjäger auf dem Dach des Gebäudes landeten. Am Donnerstag früh gab es amtlichen Angaben zufolge vier Tote, 93 Verletzte und 263 Festnahmen. Französische Ärzte sprechen von insgesamt mindestens sieben Toten.

Am Donnerstag morgen appellierte Iliescu an seine Anhänger, die Armee in ihrem Bemühen zu unterstützen, „diese Nazirebellion zu liquidieren“. Er machte die „Eiserne Garde“ für die Demonstrationen verantwortlich, eine Organisation, die vor dem Zweiten Weltkrieg mit den Nationalsozialisten sympathisiert hatte. Den Einsatz von etwa 10.000 Bergleuten, die in 72 Zügen aus verschiedenen Kohlerevieren des Landes herangeschafft wurden und nun gemeinsam mit der Armee die Innenstadt Bukarests kontrollieren, begründete der Präsident mit der „Schwäche der Polizei“ und ihrem „Mangel an Entscheidungsfreude und Professionalität“.

Bergarbeiter, die in Rumänien traditionell privilegiert und daher mit der Staatsführung verbunden sind, stürmten und plünderten die Sitze der beiden größten Oppositionsparteien, der Nationalen Bauernpartei von Ion Ratiu und der National -Liberalen Partei von Ratiu Campeanu. Sie warfen Schreibmaschinen zum Fenster hinaus und verbrannten Akten auf der Straße. Auch die Druckerei des Präsidentschaftskandidaten der Bauernpartei wurde vollkommen verwüstet. Im Chor schrien an die tausend Bergarbeiter: „Ratiu und Campeanu, raus aus unserem Land!“

Auch die Architektur-Fakultät der Universität, Zentrum der oppositionellen Studenten, wurde von Bergarbeitern besetzt, die Traktate und Bilder aus den Fenster warfen. Aus Armeefahrzeugen erhielten die Kumpel Verpflegung und Getränke. Armeehubschrauber warfen Flugblätter über dem Zentrum ab mit der Aufforderung, „die Arbeiter nicht zu provozieren“, sondern ihnen zu helfen. „Fanatische Bergwerksleute aus den Juilui- und Maramures-Bergwerken machen Jagd auf jeden, der ihnen wie ein Hippie, Jude oder Intellektueller vorkommt“, berichtete telefonisch eine Architekturstudentin dem taz-Mitarbeiter in Budapest. Man wisse ganz sicher, daß Marian Munteanu, der Studentenführer von Bukarest, im Gefängnis bewußtlos geschlagen worden sei. Es sei wie unter Ceausescu, mit dem Unterschied, daß sich nun dumme Bergarbeiter für die schmutzige Arbeit hingäben, die früher die Geheimpolizei Securitate erledigt habe. An jeder Station der Untergrundbahn seien paramilitärische Polizeieinheiten aufgezogen. Selbst eine Gruppe von Schulmädchen sei verprügelt worden, weil sie einer Soldatenstreife Blumen überreichen wollte. Doch „die sahen darin kein Zeichen der Versöhnung, sondern der Provokation“, berichtete die Studentin.

Überall in der Innenstadt machten am Donnerstag mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete Bergleute Jagd auf Demonstranten. Von einem Lautsprecherwagen aus erhielten sie Einsatzbefehle. Sie wurden aufgerufen, Kameraleute, Fotografen und Reporter in die Lastwagen zu bringen. „Wir werden für sie sorgen“, tönte es Ohrenzeugen zufolge aus dem Megaphon. Auch im Hotel Intercontinental, wo viele Journalisten einquartiert sind, traten die Bergleute massiv auf. Der Hotelmanager forderte seine Gäste schließlich auf, nicht mehr auf die Balkone zu treten oder von dort Filmaufnahmen oder Fotos zu machen. Arbeiter drohten das Hotel zu stürmen, wenn die Reporter die Berichterstattung nicht einstellten, verprügelten eine rumänische Mitarbeiterin der Nachrichtenagentur 'ap‘ und schlugen ausländische Fotografen zusammen.

thos