STADT AM HASESTRAND

■ Ein Porträt der Provinzmetropole Osnabrück

Und siehe, das nackte Grauen aber wohnt daselbst zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge, wo einst der tapfere Arminius sich mit den Römern schlug und Wittekind vor Karl dem Großen kuschte, es wohnt an den Ufern der Hase und der Nette, deren Fluten hastig vorbei eilen an diesem ruchlosen Ort, der dort liegt von Hügeln umsäumt und eingepfercht zwischen Autobahnen und Umgehungsstraßen. Und der Name dieses Ortes ward - Osnabrück.

Da hätten wir auch schon das Beste, was über Osnabrück zu sagen ist, erwähnt: Daß man es nämlich weiträumig umfahren kann, auf der Hansalinie Bremen-Dortmund oder auf der Strecke Bad Oeynhausen-Rheine, die sich den Stadtmauern zwar bedenklich nähert - was viele Reisende dazu anhält, ihre Geschwindigkeit zu erhöhen -, aber man kann relativ ungeschoren an dieser Stätte der Verdammnis vorbeikommen. Diese Chance sollte man tunlichst nutzten. Weniger glücklich dran sind die Fahrgäste der Bundesbahn - vom IC bis zum Bummelzug hält im Osnabrücker Hauptbahnhof alles, was sich überhaupt auf Schienen fortbewegt.

Wie eine Nase ragt der südlichste Teil Niedersachsens ins benachbarte Nordrhein-Westfalen. Diese Nase ist das Osnabrücker Land, daher rührt der hierzulande sehr gebräuchliche Gruß „na, du Nase?!“ Fremde allerdings werden diese feuchtwarmen Worte kaum zu hören bekommen, denn die Osnabrücker sind mehr als ungesellig. Ein störrischer Hamburger Stockfisch wirkt neben einem Osnabrücker wie ein charmanter Salonlöwe. In Osnabrück kann es Männern mit kragenlangem Haar noch passieren, daß sie in öffentlichen Gaststätten abgewiesen oder einfach nicht bedient werden. Dieses ungehörige Benehmen wie das durch Kriegsfolgen und sogenannte „Stadtsanierung“ völlig verkorkste Stadtbild halten Touristen für gewöhnlich davon ab, sich einen Besuch dieser Stadt, der einer schweren Buße gleichkäme, aufzuerlegen. Die Bewohner dieser Stadt sind dennoch (oder gerade deswegen?) derartig blasiert und vom Dünkel geschüttelt, daß sie sich hartnäckig einbilden, Weltenbummlern könne nichts besseres passieren als der Anblick ihrer „Provinzmetropole“. Unterstützt werden die Pfeffersäcke der ehemaligen Hansestadt in ihrem Hochmut durch ihre Heimatzeitung, die auf fast schon wieder rührende Weise noch die allerletzte Kaninchenzüchterversammlung zu einem weltbewegenden Ereignis zu stilisieren trachtet.

Gerade ihres wahnhaften Dünkels wegen können es die Osnabrücker nur schwer verknusen, daß sie in der Weltgeschichte, also auch in den überregionalen Medien so gut wie überhaupt nicht vorkommen. Regelmäßig wird der Intendant des Norddeutschen Rundfunks durch Briefe von Ratsmitgliedern belästigt, in denen gefordert wird, doch in Hörfunk und Fernsehen mehr aus Osnabrück zu berichten. Allein, was soll der arme Mann denn machen, wenn in Osnabrück rein gar nichts passiert. So sind die Osnabrücker auf eine andere Idee verfallen. Alljährlich opfern sich Hunderte im Straßenverkehr auf, damit Osnabrück in der Verkehrstotenstatistik des Bundes wieder einen der vorderen Plätze einnehmen kann. 1.086 Verkehrsteilnehmer je 100.000 Einwohner blieben dabei 1986/87 auf dem asphaltierten Feld der Ehre, eine reife Leistung, die nur noch von den wagemutigeren und noch einsatzfreudigeren Darmstädtern mit 1.158 Toten pro 100.000 Lebenden überboten wurde. Aber auch der zweite Platz brachte einige werbewirksame Schlagzeilen in den Gazetten der Republik.

An Stadtwerbung ist den Osnabrücker Kommunalpolitikern sehr gelegen. Um nämlich auch weiterhin ebenso überflüssige wie schweineteure Dienstreisen machen zu können, muß Gewerbesteuer her. Und dazu braucht man Unternehmen, die, da die Osnabrücker ja selbst nichts können, von außerhalb in die Stadt gelockt werden müssen, dem Fremdenhaß der Bevölkerung zum Trotz. Also reißen die städtischen Beamten Schrebergartenanlagen nieder und betonieren Naherholungsgebiete, um auswärtigen Firmen „voll erschlossene“ (eigentlich ja eher leer erschlossene) Gewerbeflächen anbieten zu können. Diese liegen dann als trostlose Wüstenei in der Gegend herum, dann natürlich fällt kein Unternehmer auf so einen Schmonzes herein. Lieber siedeln sich die nadelgestreiften Gewerbesteuermänner im benachbarten Westfalen an, wo die Landschaft schöner, die Luft sauberer und die Eingeborenen zutraulicher sind. Das alles ficht die delirierenden Chaoten des städtischen Berufspolitiker- und Lobbyistentums allerdings nicht an.

Ihr Beton- und Asphaltparadies, das - bis auf wenige Quadratzentimeter Alibi und Vorzeige-Alstadt - aussieht wie eine einzige häßliche Fußgängerzone, wird durchflossen von einem etwas besseren, aber um so stinkenderen Bach namens Hase. Diese Tatsache führte in der Vergangenheit bereits zu der aberwitzigen Verstiegenheit, Osnabrück die „Stadt am Hasestrand“ zu nennen - ein „Strand“, der aus abwassergesättigtem, übelriechendem Morast besteht, sofern diese Bezeichnung in diesem Zusammenhang überhaupt zulässig sein sollte. Einen besseren Brüllwitz kann man sich kaum vorstellen.

Am gramvollsten, ja niederschmetterndsten aber ist die Eigenart des Osnabrückers, sich des Samstagmorgens seiner Schweigsamkeit für kurze Zeit zu entledigen. Dann nämlich begeben sich die Osnabrückischen auf den „Ritualienmarkt“ im Schatten des häßlichsten Doms Europas. Dort wird der neueste C&A- und Woolworth-Schick zur Schau gestellt, ebenso der vortags aufgegabelte Beschäler beziehungsweise das weibliche Pendant. Hier versucht das osnabrückisch Volk unter dem Vorwand, fürs Wochenende dringend notwendige Einkäufe zu tätigen, in einer dem Deutschen nur noch entfernt ähnelnden Sprache dem zu frönen, was man in zivilisierten Gegenden „Small Talk“ nennt. Der besteht hauptsächlich im niederträchtigsten und armsinnigsten Gewäsch und Getratsche sowie darin (und da sind die Osnabrücker führend), die bemitleidenswerten Marktbeschicker mit saudummen Fragen („Sind die Kartoffeln von freilaufenden Ochsen?“) halbwegs in den Wahnsinn zu treiben.

Nach den Einkäufen hockt sich der Teil des Gesindels, der über eine solide akademische Halbbildung verfügt oder sich selbst zur Provinzboheme zählt, in das Marktcafe, wo es glotzt und mampft und schmatzt und schlürft und gar zu blöd in die Gegend faselt. Ein Fremdling soll sich letztens gar erschossen haben, weil er das mindersinnige Geplatter nicht mehr ertragen mochte. Furchtbar. Furchtbar und nochmals und dreifach donnernd: furchtbar.

Kaum scheinen die geschilderten Niederträchtigkeiten noch steigerungsfähig, doch in Osnabrück ist in dieser Hinsicht alles möglich. Noch korrupter als alles andere, am abstrusesten und von nicht mehr zu fassender Hirnrissigkeit ist die gerade aktuelle Geisteskrankheit namens Passagenwahn. Irgendein Osnabrücker, der ausnahmsweise nach Hamburg eingelassen wurde, sah dort wohl diese wunderschönen chromblitzenden und marmorglänzenden Passagen, diese lichtdurchfluteten Kommerztempel unter Arkaden und Säulen mit ihren noblen und edlen und arschteuren Boutiquen. So was wollte Osnabrück auch sogleich und baute sich so ein Teil, mit abgeguckter postmodern(d)er Fassade, Glasdach, Champagnerbar und ähnlichem Schnickschnack. Thomas Gottschalk und Hannelore Kohl wurden zur Eröffnung herbeordert, und Tausende von Gaffern fanden sich, das Unbekannte und Niegesehene mit offenen Mäulern zu bestaunen. Jetzt kann man zwischen Cafe und Herrenausstatter hineinschlupfen und kommt hinterwärts bei der „Ihr Platz„ -Filiale wieder heraus. Aber nicht genug der Bewußtseinstrübung, plötzlich wollten alle ihre eigene Passage. Daher wird neuerdings jeder Hausflur, der mehr als zwei Menschen gleichzeitig aufnimmt, glasüberdacht und zur Passage gemacht, auch wenn es hinten nur zur Sickergrube rausgeht.

Während daheim derart ruchlos Bausünden begangen werden, feiert Osnabrücks Bundestagsabgeordneter Professor Dr.Karl -Heinz Hornhues (CDU) in Bonn wahre Triumphe. Gab doch dieser Tage die Bundesverwaltung endlich seinem hartnäckigen (wie Bundesarbeitsminister Blüm es ausdrücken würde) Beharren nach und tauschte die vormals englischen Beschriftungen an den Wasserhähnen auf der Herrentoilette des Hohen Hauses gegen deutschsprachige. Auf daß sich nun auch Herr Hornhues aus Osnabrück nicht mehr die Finger verbrühe, sofern er einmal aufgrund von dringenden Geschäften sein Englischlexikon im Plenarsaal vergessen haben sollte...

Harald Keller