: Kamerun zerfließt vor Freude im Bier
Kamerun besiegt Rumänien mit 2:1, führt damit die Gruppentabelle vor ebenjenen, Weltmeister Argentinien und Vize-Europameister UdSSR an und steht im Achtelfinale / Beide Tore schoß der vom Staatspräsidenten aufgestellte Milla ■ Aus Bari Reimar Paul
Die unmittelbare Umgebung des neuen Stadions San Nikola gleicht einer Mischung aus Großbaustelle und Müllkippe. Die Schuttberge sind noch nicht abgefahren, die Parkplatzzufahrten noch nicht befestigt, und aus dem nahen Bari hat der Wind Zehntausende von Plastiktüten herübergeweht. Von innen ist die Anlage etwas ansehnlicher. Es gibt nette Blumenarrangements auf der Laufbahn, und jeder der knapp 60.000 Sitze ist mit einem hübschen Coca-Cola -Wappen verziert.
Die meisten Plastikschalen blieben am Donnerstag nachmittag aber unbesetzt. Von den angekündigten 5.000 rumänischen Fans war allenfalls ein Drittel angereist, und auch der Block der ausgewiesenen Kamerun-Anhänger schien gegenüber dem Eröffnungsspiel merklich geschrumpft. Die Einheimischen machten sich ebenfalls rar - sie hoben, wie sich später zeigte, ihre kostbaren Kräfte für die TV-Übertragung des Italien-Spiels und die anschließende, mehrstündige Jubel -Motor-Rallye durch die Innenstadt von Bari auf.
Kleine Kolonien irischer und niederländischer Schlachtenbummler, die auf ihrem Weg von Sizilien nach Sardinien und umgekehrt, in Bari Station machten, sorgten mit ihren Mützen, Hemden und Fahnen zwar für optische Farbtupfer; klaffende Lücken in den ohnehin sehr lockeren Zuschauerreihen konnten indes auch sie nicht schließen.
Das von Beginn an recht muntere Spiel wurde zunächst klar von der rumänischen Elf bestimmt. Klein, Timofte und der gegen die UdSSR noch gesperrte Spielmacher Hagi sorgten vor allem über die linke Seite für ansehnlichen Druck und wirbelte die kameruner Verteidigung einige Male heftig durcheinander. Deren Gegenzüge, von den rumänischen Zuschauern unisono mit Affen- und Urwaldgeschrei begleitet, blieben meist schon früh stecken.
Kaum einmal gelangten die Stürmer Oman Biyik und Makanaky bis in den Strafraum. Und wenn sie es schafften, dann war der Ball meist schon wieder woanders. Mit Glück und gekonnten Torwartparaden rettete sich Kamerun schließlich in die Pause.
Als Schlüsselszene der Partie kann die 56. Minute festgehalten werden. Bei den Rumänen ging der leicht verletzte und zuvor mit einer gelben Karte konfrontierte Hagi, bei den Kamerunern kam der 36jährige, auf Anordnung des Staatspräsidenten extra für die WM reaktivierte Milla. Zwanzig Minuten benötigte der „Burgsmüller des schwarzafrikanischen Fußballs“ um sich, unbelästigt von energiezehrenden Ballkontakten, einzutraben und seine Position auf der rechten Abgriffsseite einzunehmen. Locker und warm, avoncierte er flugs zum Matchwinner.
Beim 1:0 war Milla nach einem Zusammenprall mit seinem Gegenspieler schneller wieder auf den Beinen als dieser und hob den vor seine Füße trudelnden Ball an dem herausstürzenden Torhüter Lung vorbei ins Netz. Das 2:0, fünf Minutenspäter, resultierte auf einer Eigenleistung des Ur-Oldies, der eine spritzigen Alleingang von rechts mit einem harten und unhaltbaren Schuß unter die Latte abschloß.
Voller Freude taumelten alsdann die Kameruner durch die eigene Hälfte und ließen gar zu, daß dem rumänischen Einwechsel-Spieler Balint Sekunden vor Schluß noch der Anschlußtreffer gelang.
Getaumel meldete 'dpa‘ auch aus Kamerun: „Ganz Yaounde explodierte vor Freude wie ein einziger Mann.“ Topmeldung nach dem zweiten Tor: „Das Bier fließt in Strömen.“ Was offenbar schnell zu einer gewissen Einsilbigkeit der Fans führte, die von Lastwagen herunter Fahnen schwenkten und wie paralysiert wiederholten: „Roger Milla, Roger Milla, Roger Milla...“.
Weniger überrascht vom Erreichen des Halbfinales als seine Landsleute daheim zeigte sich Kameruns sowjetischer Trainer Waleri Nepomniaschi: „Die Qualifikation ist keine Überraschung für uns. Wir waren darauf eingestellt.“ Doch in den letzten Minuten, als Rumänien nochmals aufdrehte, war auch ihm bange: „Ich hatte sogar Angst, eventuell verlieren zu können“, teilte er mit ganz im Stil eines Favoritentrainers. Gegen die Sowjetunion will seine Mannschaft nun nochmals alles geben, obwohl des Trainers Herz auch für den Gegner schlägt. „Aber als Trainer Kameruns bin ich mit dem Kopf bei meinem Team.“
Kamerun: N'Kono - Ndip - Onana, Ebwelle - Tataw, Mabdan (59. Miller), Kunde (70. Pagal), Mbouh, Mfede - Biyik, Makanaky
Rumänien: Lung - Popescu - Andone, Rotariu - Rednic, Sabau, Hagi (56. Dumitrescu), Timofte, Klein - Lacatus, Raducioiu (64. Balint)
Tor: 1:0 Milla (77.), 2:0 Milla (87.), 2:1 Balint (89.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen