: Berlin: Pfiffe und Reden zum 17. Juni
■ Beide deutschen Parlamente feierten gemeinsam in Ost-Berlin / Vor der Tür Demonstranten
Berlin (ap/dpa/taz) - Begleitet von der Gegendemonstration einiger hundert Menschen fand gestern im Berliner Schauspielhaus die erste gesamtdeutsche Gedenkfeier zum 17. Juni 1953 statt. Die Demonstranten zeigten DDR-Fahnen mit dem offiziell abgeschafften Emblem Hammer und Zirkel, pfiffen beim Eintreffen von Politikern aus Ost und und West und erklärten auf Flugblättern, der Geist des Volksaufstandes von 1953 scheine nun „mit D-Mark aufgekauft und im Eilzugtempo niedergetrampelt“ zu werden.
Gegen diese Demonstration, deren Teilnehmer nach eigenen Angaben von der PDS und anderen linken Parteien kamen, protestierten Mitglieder der Jungen Union mit dem Transpartent „Jahre haben sie geschossen, jetzt gedenken die Genossen“. An der Feierstunde im Inneren des Schauspielhauses nahmen knapp tausend Menschen teil, unter ihnen Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere.
Als Hauptredner sprach der Ostberliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe. Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) sagte, mit dieser Gedenkstunde müßten die Menschen in der DDR einen neuen Anfang bei der Betrachtung dieses Datums machen. Sie stellte die Frage, ob damals in der DDR der Ruf nach Einheit wirklich so laut gewesen sei, wie dies später in Gedenkreden in der BRD dargestellt worden sei.
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) verwies auf die Opfer des 17. Juni und aller Opfer des Stalinismus, die auf Rehabilitierung warteten. Unter Beifall sagte sie zur Mauer, was nach dem Willen der Machthaber noch 100 Jahre hätte Bestand haben sollen, hätten „mutige Menschen in weniger als einem Jahr“ beiseite geschafft. Der Aufbruch zu Demokratie und Freiheit habe in der DDR eine lange Vorgeschichte gehabt, zu der auch der 17.Juni 1953 gehöre. Frau Bergmann -Pohl schlug vor, den Tag der Einheit, den die Parlamente beschließen müßten, zu einem gemeinsamen nationalen Feiertag zu machen.
Stolpe erhielt für seine Gedenkansprache minutenlangen Beifall. Er sagte, die Wirklichkeit der Entwicklung habe die Wünsche überholt. Höchste Priorität habe jetzt die Frage, ob die Ostdeutschen das ihnen unbekannte neue Wirtschaftssystem akzeptieren könnten. Dies sei nach dem politischen Umbruch die „wichtigste gesellschaftliche Friedensfrage“ geworden.
Er richtete an die Politiker den dringenden Appell, eine „Arbeitsförderung ohne Zwischenarbeitslosigkeit“ sicherzustellen. Stolpe forderte dazu auf, beim Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten einen maßvollen Weg zu beschreiten, „der Unrecht sühnt, aber Neubeginn ermöglicht“. Nach der Kirchenverfolgung in der DDR dürfe es zu keiner Marxistenverfolgung kommen.
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