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Die Zukunft Europas

■ betr.: "Staatskunst und Bürgerkunst", (Thesen von Timothy Garton Ash), taz vom 12.6.90

betr.: „Staatskunst und Bürgerkunst“, (Thesen von Timothy Garton Ash), taz vom 12.6.90

Bedauerlicherweise sind Ashs Thesen teilweise diffus und widersprüchlich: Die große nordglobale Einheitsvision unter Einschluß „Rußlands“ und der Vereinigten Staaten hat eine undeutliche Vorstellung von dem zur Folge, was dieses neue Europa eigentlich sein soll. Und weiter wird einerseits für die Anerkennung der bestehenden nationalstaatlichen Grenzen plädiert, andererseits jedoch wird zwischen den Zeilen ihr Bedeutungsschwund aufgrund des zunehmenden Gewichts grenzüberschreitender wirtschaftlich-sozial-kultureller Konfliktzonen angemerkt.

In der gegenwärtigen hochkomplexen Umbruchsituation ist meiner Erachtens aber eine klare Vorstellung von einer Zukunft Europas notwendig, die dem von immer mehr Menschen zum Ausdruck gebrachten Grundinteresse an einem menschenwürdigen Überleben in der ökologischen Krise gerecht wird. Andernfalls sagen uns EuropäerInnen nämlich andere zum Beispiel von jenseits des Atlantik - wo's auf Dauer lang zu gehen hat. Zu den unverzichtbaren Elementen einer klaren Vorstellung von einer wünschenswerten Zukunft unseres alten Kontinents gehört, denke ich, daß Europa aus der ständigen Verarbeitung seiner Geschichte mit all ihren guten und schlimmen Epochen einerseits und andererseits in dem Willen zur Gestaltung eines „nach-industriellen“ Zeitalters im Sinne einer Wiedereinordnung des Menschen in die Natur anstelle deren Unterwerfung durch ihn eine neue Identität gewinnt.

Auf dem Weg dahin sollte außenpolitisch Europas Eigenständigkeit sowohl gegenüber den USA als auch der UdSSR erreicht werden, um weder weiter von den ersteren dominiert zu werden noch in künftige außereuropäische Konflikte beider Mächte verwickelt zu werden. Und innerhalb seiner Grenzen sollte Europa eine der so sehr verschiedenartigen Geschichte seiner Völker entsprechende Vielfalt politische Partizipation und Emanzipation fördernder gesellschaftlich -wirtschaftlich-staatlicher Strukturen entwickeln und es nicht allein beim Typ der zu repressivem Zentralismus und Vermassung neigenden repräsentativen Demokratie belassen. Zu erinnern ist in Verbindung hiermit, daß das Konzept „Republik“ des von Ash zu Recht hervorgehobenen Kant sehr unterschiedliche Formen politischer Systeme ermöglicht, von der konstitutionellen Monarchie bis hin zu autonomen Regionen, vorausgesetzt vor allem Gewaltentrennung und gesetzgebende Gewalt in Händen einer Volksvertretung sowie Entscheidung über Krieg und Frieden beim Volk.

Ein „europäisches“ Europa sollte sich um den Kristallisationskern der genuin europäischen Organisation „Westeuropäische Union“ (WEU) entwickeln, die auf eine Einigung Europas hin angelegt ist, in deren Rahmen auch die Gefahr einer großdeutschen Vorherrschaft abgewendet werden kann.

Lutz Roemheld, Fröndenberg

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