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Berlin: Pfiffe und Reden zum 17. Juni

■ Beide deutsche Parlamente nahmen an Gedenkveranstaltung in Ost-Berlin teil / Vor der Tür Demonstranten / Nachdenkliches von Kirchenmann Stolpe und Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl / DDR-Zeitung spricht von über 287 Toten am 17. Juni 1953

Berlin (ap/dpa/taz) - Begleitet von der Gegendemonstration einiger hundert Menschen fand gestern im Ostberliner Schauspielhaus die erste gesamtdeutsche Gedenkfeier zum 17. Juni 1953 statt. Die Demonstranten zeigten DDR-Fahnen mit dem offiziell abgeschafften Emblem Hammer und Zirkel, pfiffen beim Eintreffen von Politikern aus Ost und und West und erklärten auf Flugblättern, der Geist des Volksaufstandes von 1953 scheine nun „mit D-Mark aufgekauft und im Eilzugtempo niedergetrampelt“ zu werden.

Gegen diese Demonstration, deren Teilnehmer nach eigenen Angaben von der PDS und anderen linken Parteien kamen, protestierten Mitglieder der Jungen Union mit dem Transpartent „Jahre haben sie geschossen, jetzt gedenken die Genossen“. An der Feierstunde im Inneren des Schauspielhauses nahmen knapp tausend Menschen teil, unter ihnen Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere. Als Hauptredner sprach der Ostberliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe.

Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) sagte, mit dieser Gedenkstunde müßten die Menschen in der DDR einen neuen Anfang bei der Betrachtung dieses Datums machen. Sie stellte die Frage, ob damals in der DDR der Ruf nach Einheit wirklich so laut gewesen sei, wie dies später in Gedenkreden in der Bundesrepublik dargestellt worden sei. Schließlich hätten auch die damaligen Machthaber die Einheit als Fernziel noch nicht in Frage gestellt. Stark sei die Hoffnung auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ gewesen.

Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) verwies auf die Opfer des 17. Juni und alle Opfer des Stalinismus, die auf Rehabilitierung warteten. Unter Beifall sagte sie zur Mauer, was nach dem Willen der Machthaber noch 100 Jahre hätte Bestand haben sollen, hätten „mutige Menschen in weniger als einem Jahr“ beiseite geschafft. Der Aufbruch zu Demokratie und Freiheit habe in der DDR eine lange Vorgeschichte, zu der auch der 17. Juni 1953 gehöre. Frau Bergmann-Pohl schlug vor, den Tag der Einheit, den die Parlamente beschließen müßten, zu einem gemeinsamen nationalen Feiertag zu machen.

Stolpe erhielt für seine Gedenkansprache minutenlangen Beifall. Er sagte, die Wirklichkeit der Entwicklung habe die Wünsche überholt. Höchste Priorität habe jetzt die Frage, ob die Ostdeutschen das neue Wirtschaftssystem akzeptieren könnten. Dies sei nach dem politischen Umbruch die „wichtigste gesellschaftliche Friedensfrage“.

Er richtete an die Politiker den dringenden Appell, eine „Arbeitsförderung ohne Zwischenarbeitslosigkeit“ sicherzustellen. Dazu seien „umfassende Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ zu organisieren. Hunderttausende Menschen in der DDR wollten arbeiten, sie wollten nicht mit Arbeitslosengeld getröstet werden. Nach der staatlichen Vereinigung, für die offenbar Eile geboten sei, solle ein Zeitraum von zwei Jahren zur Anpassung zwischen Ost und West bereitgestellt werden.

Stolpe forderte dazu auf, beim Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten einen maßvollen Weg zu beschreiten, „der Unrecht sühnt, aber Neubeginn ermöglicht“. Nach der Kirchenverfolgung in der DDR dürfe es zu keiner Marxistenverfolgung kommen. Währenddessen findet in der DDR -Öffentlichkeit eine Aufarbeitung der Ereignisse vom 17. Juni 1953 statt.

So veröffentlichte die ehemalige Zeitung der Blockpartei LDPD, 'Der Morgen‘, folgende Zahlen: Unter den Demonstranten habe es damals 267 Todesopfer gegeben - bei SED -Funktionären, Volkspolizei und Staatssicherheit weitere 20. Zudem seien 20.000 Menschen in Untersuchungshaft geraten, 40.381 DDR-Bürger hätten im Juni 1953 fluchtartig das Land verlassen. 3.000 Demonstranten hätten langjährige Haftstrafen erhalten, vier Aufständische seien zu Lebenslang verurteilt worden. 18 Demonstranten seien standrechtlich erschossen worden. Nach den Zahlen der Zeitung gab es in 244 Städten des Landes Streiks, in 153 Orten Demonstrationen.

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