: Die Stadt der Städte
■ betr.: "Stadt am Hasestrand", (Ein Porträt der Provinzmetropole Osnabrück), taz vom 16.6.90
betr.: „Stadt am Hasestrand“ (Ein Porträt der Provinzmetropole Osnabrück), taz vom 16.6.90
Da kaufe ich tief in der alemannischen Provinz, in Freiburg im BreisGAU (zur Explikation nach Osnabrück und Berlin: das liegt ganz unten links in Land und Ländle), die taz in der Hoffnung auf metropolitan-mondäne Informationen, und was muß ich lesen: die polemischste, niederträchtigste, sarkastischste, kurzum adrenalinspiegeltreibendste (was angeblich nicht möglich sei, da störrischer Hamburger Stockfisch gegen uns Osnabrücker wie ein Salonlöwe wirke), Schelte gegen das geliebte Osnabrück (dat ist miene Heimat, dor bin ick to hus!, damit das gleich am Anfang schon mal klar ist!), die mir je untergekommen ist.
Wie konnte Harald Keller es wagen, die Stadt, vermeintlich (!), so brutal zu entmystifizieren, wo doch jeder - besonderes Leute mit mehrfacher Provinzstadterfahrung wie ich zum Beispiel (Münster, unter uns gesagt, sind die da noch sturer als in Osnabrück - was sich von daher als weiteres exponiertes eventuelles Porträtobjekt geradezu aufdrängt - und genanntes Freiburg, da muß ich mich zurückhalten, denn mein Verbleib ebenda muß noch ein Jahr andauern) weiß, daß Osnabrück die Stadt der Städte ist.
Zur Verifikation für diese, dem Uneingeweihten, eventuell durch Kellers Unterstellungen Verblendeten (er diagnostiziert einen „wahnhaften Dünkel“ bei uns), vielleicht kühn erscheinende These sei folgendes angeführt:
Historisches: bei uns (!) (na gut, und in Münster) wurde am 24. Oktober 1648 der erste völkerrechtlich verbindliche Friedensvertrag der Neuzeit zwischen den kriegführenden Parteien des „Dreißjährigen Krieges“ geschlossen. (Ich hör's schon: „Dafür kann man sich heute auch nix mehr kaufen.“)
Na gut, dann Infrastrukturelles: Wir haben die höchste Pommesbudendichte Deutschlands (Quelle: 'Stadtblatt‘ Nr. 124, so was haben wir auch, wie konnte Harald Keller das nur vergessen?). Dann hat die Uni-Mensa - ja! Osnabrück ist Universitätsstadt (nach 'Spiegel'-Ranking-List angeblich gar besser als Berlin, München und dergleichen!). Da staunt Ihr?! - in der letzten RCDS-Welt-Umfrage (zugestandenerweise eine nur fast so seriöse Quelle wie das 'Stadtblatt‘), den ersten Platz unter allen Mensen dieses unseres Landes belegt. Nur noch nebenbei gibt's im Marktcafe die beste Buttercremetorte dieses Planeten!
Aber jetzt Sportliches: Schon mal was vom VFL Osnabrück gehört? Wenn er in der letzten Saison auch um Haaresbreite abgestiegen wäre - erstaunlich daß er es dann doch nicht ist, wo dem Trainer doch erst zum dritten Mal der Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer weggenommen worden ist -, so spielt er doch in der zweiten Liga, was für eine „Provinzmetropole“ heute schon fast die Ausnahme ist.
Abschließend Kulturelles: Nicht nur, daß es Experimentalfilmtage in der Lagerhalle, einen Hyde-Park (insiderisch: Heiden-Park) gibt, wo ab und zu so Bands wie Wehrmacht, Megamosh, Zed Yago, Lüde und die Astros etc. pp. spielen, nein, wir haben auch noch ein Stadttheater inklusive Emma-Theater, in dessen Spielplan immerhin Warten auf Godot (ßßß, schließlich sitzt ja auch der Bischof des immerhin flächenmäßig größten deutschen Bistums
-ganz Skandinavien ist kirchenrechtlich quasi unter unserer Fuchtel! - fast direkt neben dem Theater) und Andy Warhol Superstar auftauchen. Weil schlußendlich Erich Maria Remarque (Im Westen nichts Neues) unseren Gemäuern entstammt, ist der Provinzialismusvorwurf doch wohl vollends ad absurdum geführt! Oder?
Markus Giesecke, Osnabrücker Kosmopolit im badischen Exil
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen