Konrad Zuse: Der vergessene Computer-Pionier

■ Der Erfinder aus Berlin-Kreuzberg feiert übermorgen seinen 80. Geburtstag

Wer eine Bahnkarte kaufen will, Geld abheben oder seinen Reisepaß verlängern will, bekommt es mit ihm zu tun. Sein Einsatz ist schon fast so alltäglich wie das Autofahren. Doch während die meisten Menschen Pioniere des Automobils wie Carl Benz und Gottfried Daimler kennen, ist der Erbauer des ersten Computers weitgehend unbekannt geblieben. Wer kennt schon Konrad Zuse, der an diesem Freitag seinen 80. Geburtstag feiert.

Begonnen hat alles vor knapp 60 Jahren mit der Unlust des Bauingenieurstudenten Zuse, langwierige statische Berechnungen durchzuführen. So kommt er auf die Idee, eine Rechenmaschine zu konstruieren. Im Jahre 1934 beginnt er einen Apparat von der Größe eines Doppelbetts aus Blechstreifen und Stahlzylindern in der elterlichen Wohnung in Berlin-Kreuzberg zu bauen. Vier Jahre später stellt er trotz ständigen Geld- und Materialmangels seine erste Rechenmaschine, die später Z1 genannt wird, mit Hilfe einiger Freunde fertig. Sie funktioniert rein mechanisch und wird wahlweise mit einem Elektromotor oder einer Handkurbel betrieben. Die Eingabe erfolgt über Lochstreifen. Aus Materialmangel verwendet Zuse dazu ausgediente 35 Millimeter Filmstreifen, die er mit einem Handlocher bearbeitet. So sehr sich Zuses Ungetüm aus Blechstreifen und Verbindungsstangen von modernen Computern unterscheidet, gibt es doch einige Gemeinsamkeiten. Die Z1 gebraucht als erste Rechenmaschine die binäre Codierung: Jede Zahl wird als Folge von Nullen und Einsen dargestellt. Mit der Umsetzung eins (Strom ein) null (Strom aus) benutzen auch die modernen elektronischen Rechner diese Codierung. Zuses Apparat arbeitet mit Exponent und Mantisse, einer logarithmischen Zahlendarstellung, die heute noch als Foating-Point- oder Gleitkommadarstellung weit verbreitet ist.

Bei der Z1 ist es nicht möglich, bedingte Befehle - das sind Anweisungen, deren Ausführung von einem vorher berechneten Zwischenergebnis abhängt - einzugeben. Darin unterscheidet sie sich prinzipiell von modernen Computern. Doch Zuse hat die Bedeutung von bedingten Befehlen bereits erkannt. Hundertprozentig funktioniert die Z1 nicht, da die mit einer Laubsäge hergestellten Blechstreifen zu ungenau gesägt sind. Zuse will in seiner Leidenschaft für die Technik natürlich sofort die nächste Rechenmaschine bauen. Doch daran hindert ihn bald seine Einberufung zu Beginn des zweiten Weltkriegs. Er setzt alles daran, unabkömmlich (uk) gestellt zu werden. Seine Computerbasteleien führen nicht zu einer uk-Stellung, da ihre Bedeutung von den Nationalsozialisten glücklicherweise verkannt wird. Zuse unterbreitet daher dem Heereswaffenamt den Vorschlag, ihn zur Entwicklung eines neuen Chiffriergeräts vom Kriegsdienst zu befreien. Die Nazis halten aber in ihrer Ignoranz ihre Maschine zur Verschlüsselung geheimer Nachrichten, die ENIGMA, für unschlagbar. Damit bescheren sie den Alliierten einen entscheidenden strategischen Vorsprung, denn drei Jahre später gelingt es einem britischen Forscherteam, den Code der ENIGMA zu knacken.

Zuse wird nach einem halben Jahr Kriegsdienst ohne Fronteinsatz schließlich als Statiker für die Henschel Flugzeugwerke uk gestellt. Mit Finanzierungshilfe der deutschen Versuchsgesellschaft für Luftfahrt baut er die Z3, die heute als der erste voll funktionsfähige Computer der Welt gilt. Die Z3 arbeitet nicht mehr rein mechanisch, sondern enthält 2.000 elektrische Relais. Ihr Speicher faßt 64 Zahlen. Für eine Multiplikation oder Division benötigt sie drei Sekunden.

Im Jahre 1941 meldet Zuse ein Patent auf die Z3 an. Das Verfahren zieht sich in die Länge und wird erst 26 Jahre später abgeschlossen. Das Patentamt lehnt 1967 den Antrag ab, da „mangels Erfindungshöhe kein Patent erteilt werden“ könne. Zuse ist seiner Zeit einfach zu weit voraus, um anerkannt zu werden. Als er den Fabrikanten Kurt Pannke um Geld für seine Projekte bittet, erhält er die Antwort: „Auf dem Gebiet der Rechenmaschinen ist praktisch alles erforscht...“

Nach der Z3 konstruiert Zuse einen Spezialrechner für die Flügelvermessung von Bomben. Über die Folgen seiner Arbeit denkt er wenig nach. Die Aufgabenstellung sei technisch hochinteressant und faszinierend gewesen, da habe er den Zweck des Ganzen vergessen, räumt er heute ein. Er sei damals nicht nur technikbegeistert, sondern geradezu euphorisch gewesen und habe, wie viele seiner Kollegen auch, gedacht, die Technik würde alle Probleme der Welt lösen. Gewichen sei diese Euphorie erst mit der Atombombe.

„Alle haben Verantwortung“, meint er zur Verantwortung des Wissenschaftlers im Atomzeitalter. „Es hat keinen Sinn, wenn ein Forscher eine Erfindung aus Angst vor menschenfeindlichen Anwendungen verheimlicht. Da kommt nur ein anderer, nimmt ihm seine Entdeckung weg und veröffentlicht sie.“

Wegen Materialmangels und eines Forschungsverbots durch die Alliierten ist in den ersten Jahren nach dem Krieg an die Konstruktion weiterer Computer gar nicht zu denken. Zuse nutzt diese Zeit für theoretische Untersuchungen. In seiner Arbeit Der Plankalkül beschäftigt er sich als erster mit höheren Programmiersprachen. Erst zehn Jahre später, als die Programmiersprachen Fortran, Algol und Cobol entwickelt werden, sind Ansätze in dieser Richtung weiterverfolgt worden. Allerdings ohne Bezugnahme auf Zuses Vorarbeiten.

Während dieser Zeit baut Zuse eine Computerfirma auf. Trotz guter Auftragslage muß er die Zuse KG 1964 verkaufen. Danach arbeitet er aus dem Gedächtnis Konstruktionsunterlagen auf, die während des Zweiten Weltkrieges den Bomben zum Opfer fielen.

Mittlerweile hat man in den USA längst die Bedeutung der Computertechnik erkannt und riesige Summen in ihre Entwicklung gesteckt. Europa wird schell ein- und weit überholt. Der Computer startet seinen Siegeszug um die Welt

-als US-amerikanische Erfindung.

Wolfgang Blum