: „Man darf das Ordnungsprinzip des Marktes nicht absolut setzen“
Dr.Jana Sereghyova, Mitglied des Prognose-Instituts der Akademie der Wissenschaften der CSFR, über Perspektiven und Probleme des Übergangs zur Marktwirtschaft in der CSFR ■ I N T E R V I E W
Das Institut hat noch unter dem Ancien Regime eine Prognose für das Jahr 2010 vorgelegt, die wegen der darin enthaltenen, weitreichenden Reformvorschläge unterdrückt wurde.
taz: Die Regierung der CSFR hat kürzlich einen ökonomischen Plan vorgelegt, der bereits in der ersten Stufe die Subventionen zusammenstreicht und dann - beginnend mit 1991
-die Preise liberalisiert. Sagt Ihnen das Tempo zu, welche Schwierigkeiten sehen Sie?
Dr.S.: Das Regierungsprogramm ist tatsächlich auf einen sehr schnellen Übergang zur Marktwirtschaft angelegt. Es setzt hauptsächlich auf Geld- und Wechselkurspolitik, ist also monetaristisch orientiert. Eine Alternative bestünde darin, in Etappen vorzugehen und die wahrscheinlichen sozialen Folgen des Übergangs von vornherein stärker zu berücksichtigen. Aber man kann die Konzepte nicht mischen, und ich wünsche der jetzt geltenden Linie vollen Erfolg.
Folgt aus der jetzigen Wirtschaftspolitik nicht ein sehr rascher Preisanstieg?
Nicht notwendigerweise. Es muß uns allerdings gelingen, in maximal kurzer Zeit die Monopolstrukturen in der Wirtschaft abzubauen. Die Preisliberalisierung und die Auflösung der Monopole müssen Hand in Hand gehen. Sonst besteht die Gefahr monopolistischer Preisbildung.
Monopole lassen sich nicht so leicht entflechten, auch westliche Erfahrungen beweisen das.
Das ist in der Tat ein zähes Geschäft, denn es geht um Macht.
Nicht nur um Macht, sondern auch um Kapital bzw. Kapitalbeschaffung.
Was das disponible Kapital betrifft, stehen unsere Betriebe schwach da. Ich glaube allerdings, daß sich die Situation ändern wird, wenn ein unabhängiges Management die Zukunft der Betriebe bestimmen wird. Das benötigte Kapital könnte aus inländischen Bankkrediten kommen oder durch Joint -ventures. Wahr ist, daß wir einen Nachholbedarf an Investitionen haben. Darüber, wie modern resp. veraltet unser Maschinenpark im Schnitt ist, gibt es extrem unterschiedliche Ansichten.
Ihr Institut hat selbst mehr als einmal die Schwerindustrie als investitionsfressenden, aber unproduktiven Moloch beschrieben.
Wir haben gesagt, daß die Schwerindustrie bei uns keine Perspektive hat. Es geht hier aktuell aber nicht nur um Rentabilitäts sondern auch um Absatzprobleme. Bei den Preisen darf man nicht nur die Finalstufe betrachten. Unsere gesamte Schwerindustrie basiert auf subventionierten Energiepreisen. Subventioniert werden also vor allem diejenigen Betriebe, die riesige Mengen Energie verbrauchen. Man müßte die ganze Preisvertikale ändern, um festzustellen, welche Betriebe rentabel arbeiten.
Ist die Schwerindustrie, besonders der Schwermaschinenbau auch dadurch gefährdet, daß die Sowjetunion eine Reihe von Produkten, z.B. AKWs, nicht mehr abnimmt?
Im Ganzen trifft das nicht zu. Lastwagen z.B., die wir jetzt hauptsächlich an die Sowjetunion liefern, können wir auch im Westen verkaufen. Aber in einigen Sektoren müssen wir tatsächlich neue Erzeugnisse entwickeln. Hier liegt übrigens der Drehpunkt für Joint-ventures. Wir brauchen nicht nur technische Modernisierung, sondern auch Produktentwicklung und neue Absatzmärkte. Das alles soll uns der Partner bringen - im Paket.
Sie setzen wirklich große Hoffnungen auf Joint-ventures. Wie steht es mit der Mobilisierung eigener Resourcen, z.B. was Kapitalbildung anlangt?
Die Ersparnisse unserer Bevölkerung sind nicht sehr groß. Ein echtes Problem bei der Privatisierung bislang staatlicher Unternehmungen besteht darin, daß interne Kapitalreserven kaum existieren. Wir brauchen also ausländisches Kapital. Die Voraussetzungeen sind nicht schlecht. Bis jetzt laufen nur Verhandlungen über Großprojekte. Klein- und Mittelbetriebe sind noch nicht im Geschäft. Das hängt auch damit zusammen, daß wir unser Steuersystem noch nicht diversifiziert haben.
Wieviele Arbeitslose wird es geben, wenn die Betriebe rasch der Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt werden?
Wir glauben, daß unsere Umschulungsprojekte rasch greifen und deshalb keine Langzeitarbeitslosigkeit zu erwarten ist. Wir haben außerdem einen dreijährigen bezahlten Mutterschaftsurlaub vorgesehen, der den Arbeitsmarkt entlasten wird.
Eine politisch nicht unbedenkliche Maßnahme.
Bitte überlegen Sie, daß die Tschechoslowakei weltweit die höchste Rate der Frauenbeschäftigung hat. Daß wir ein negatives Bevölkerungswachstum haben, ist hierauf zurückzuführen. Also: Wir rechnen nicht mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Ich denke auch, daß vor allem der tertiäre Sektor neue Arbeitsplätze bereitstellen wird.
Zur Frage der künftigen Eigentumsformen. Was heißt Privatisierung? Schließt das auch die Möglichkeit der Belegschaften ein, Aktien zu erwerben und Betriebe in Selbstverwaltung zu übernehmen?
Darüber diskutieren wir noch. Fest steht, daß privatisiert werden muß. Wir rechnen mit einer Quote von 60% in der Industrieproduktion. Strategische Bereiche, z.B. der Grundstoffindustrie, Energieerzeugung, Eisenbahn, Post, der Telekommunikation werden staatlich bleiben. Mit dem Begriff der Privatisierung ist noch nichts über deren Form ausgesagt. Jetzt steht an, dadurch die Voraussetzungen zu schaffen, daß wir die Betriebe in Aktiengesellschaften verwandeln, wobei der Staat zunächst alleiniger Aktionär ist.
Was ist ihre persönliche Option für den Charakter der zukünftig privatisierten Betriebe?
Sie fragten nach der Selbstverwaltung. Die Erfahrungen in den USA und vor allem in Jugoslawien waren damit schlecht, in Japan waren sie gut. Im Ganzen überwiegt eine negative Bilanz. Vielleicht kann man ein Modell entwickeln, das an die positiven Seiten anknüpft. Aber ich bin skeptisch.
Von der betrieblichen Selbstverwaltung können sehr starke Impulse für die Demokratisierung der Gesellschaft ausgehen, was längerfristig auch ökonomische Auswirkungen hat. Sind sie nur an kurzfristigen Effizienzkriterien interessiert?
Wir sollten jetzt langfristige Konzeptionen erarbeiten. Vielleicht würde das Konzept der Selbstverwaltung sogar kurzfristige Optimierungen bringen, auf längere Sicht ist das keineswegs sicher. Die noch unter dem alten Regime verabschiedeten Unternehmens- und Selbstverwaltungsgesetze standen unter der Herrschaft der Generalklauseln „demokratischer Zentralismus“ und „führende Rolle der Partei“. Nach der Novemberrevolution wurden sie ohne diese Klauseln zum Teil in Kraft gesetzt. Künftig sollte eine Form der Belegschaftsmitbestimmung gelten, die kontrolliert, ohne die Unternehmensführung zu bestimmen.
Wo sehen sie die Grenzen für die ordnende Funktion des Marktes?
Man darf ein Ordnungsprinzip nicht absolut setzen. Es muß Kriterien geben, an denen das, was machbar ist, die „feasability“, gemessen werden muß. Z.B. ökologische und soziale Kriterien.
Es gibt also Entscheidungskriterien in der Ökonomie außerhalb des Marktes ? Wie steht es z.B. mit der Schließung der Braunkohlezechen?
Das Wirtschaften ist nie ein rein ökonomischer Prozeß. Was die Braunkohle anlangt, haben wir bereits entschieden, daß der Abbau sukzessive vermindert wird. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Übrigens würde auch eine ökonomische Berechnung, die die Schäden bei der Braunkohleverbrennung beziffert, zum Ergebnis haben, daß man damit Schluß machen muß.
Interview: Christian Semler
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