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Hain der Ruhe

■ Hoteliers aus Paestum schwimmen gegen den Touristenstrom

er Pinienhain“, sagt Mario, Bademeister am Strand von Paestum, „der hat schon vielen Leuten kräftigen Appetit gemacht - aber noch hält die Abwehrfront.“ Den „Appetit“ bekommen einerseits potente Erholungssuchende, oft eher zufällig zu einer kurzen Stippvisite der weltberühmten Tempel in dieser Gegend, andererseits Touristik-Unternehmer aus dem nahen Salerno und aus Neapel. Kein Wunder: Der gut 300 Meter tiefe Pinienstreifen vor Paestum ist nicht nur eine der wenigen verbliebenen Grünzonen auf einer Küstendüne und eines der wenigen intakten Biotope in Strandnähe, die Italien an seiner mehr als 4.000 Kilometer langen Küste noch aufweisen kann - der Hain ist für den Ortskundigen ein magnetischer Anziehungspunkt.

In diesen Wald hinein, unter die 15 Meter hohen Schirme der Nadelbäume, eine Urlaubsvilla zu stellen oder gar ein Hotel

-daß so etwas reizt, ist verständlich. Doch „gottlob schützt uns davor ein rigoroses Gesetz“, weiß Mario, „und daß wir die Fußball-WM ohne Einbruch ins Grüne überstanden haben, ist schon sehr viel“. Zwecks Erstellung angeblich notwendiger zusätzlicher Unterkünfte und Vergnügungsanlagen für die WM hatte die Regierung zeitweise das berühmte Galasso-Gesetz, das die Bebauung 300 Meter vor der Küste ins Land hinein kategorisch ausschließt, suspendiert. Wache Umweltschützer und wohl auch „einige Vernunft der Hoteliers hier“, berichtet Direktor Riccardo D'Aiuto vom Hotel „Le Palme“, „haben die Versuchung zur Zerstörung hinreichend blockiert“. So ragt weiterhin nur ein einziger Beton-Dorn bis zur Küste vor. „Für Leute, die sich nur wohlfühlen, wenn sie vom Bett ins Meer hüpfen können“, erklärt achselzuckend Mario.

och vor fünfzig Jahren gab es über Hunderte von Kilometern Pinienbewuchs entlang der italienischen Meeresufer: Rimini beispielsweise, heute einen halben Kilometer tief ins Land massiv zubetoniert, präsentiert sich auf Postkarten der fünfziger Jahre noch mit einem beträchtlichen Piniensaum. Daß Paestum sich „seinen“ Dünenwald bewahrt hat und so eines der wenigen Reservate für einen wirklich streßfreien Urlaub geworden ist, verdankt es einer Eigenart, die die Tourismus -Profis bisher immer eher als Mangel angesehen haben: Was die örtlichen Reiseführer an besonderer Attraktion anführen, kann man, sofern nicht gerade ein Antike-Fan, bequem in ein paar Stunden durchwandern - die archäologische Zone mit den besterhaltenen Tempeln Italiens einschließlich des Museums mit den weltberühmten Grabmalereien. So entstand kein Druck seitens der Reiseunternehmer, immer weiter zum Strand vorzurücken oder, umgekehrt, von diesem rückwärts ins Land hinein alles Grün zu tilgen, um die Touristen unterzubringen. Das freilich hat von der ökonomischen Seite her für die Menschen und speziell für das Tourismusgewerbe dann wieder seine Kehrseite: weil kaum ein Tourist länger als eine Nacht oder ein Wochenende für Paestum vorsieht, fehlen wiederum viele Einrichtungen, die der Urlauber gewohnheitsmäßig für längere Ferien als unabdingbar ansieht

-Diskotheken und aufwendige Strandbars, Vergnügungsparks und Edelboutiquen. Paestum bietet nur einen Rummelplatz im Sommer, einige - ebenfalls nicht das ganze Jahr geöffnete Kinderparks, einen mäßig ausgerüsteten Reitstall und ein paar Andenken- und Modegeschäfte. Das ist auch schon alles.

nd dennoch könnte sich gerade diese Kärglichkeit nun allmählich als Zugnummer erweisen. Den Hoteliers in Paestum, die sich erst kürzlich zu einem Verband zusammengeschlossen haben, ist erst jetzt so langsam aufgegangen, daß auch sie bisher durch das ständige Schielen auf die „große“ Urlaubsindustrie a la Rimini die eigenen Vorzüge der Landschaft, der Kultur, der Menschen vergessen haben. „Wir wachen langsam aus unserer Lethargie auf“, sagt D'Aiuto, „und oft sind es aufmerksame Besucher, die uns klarmachen, was bei uns alles ungenutzt ist.“

Und das wäre eine ganze Menge - für den, der weder Massen mag noch unbedingt die Begegnung mit diesem oder jenem VIP nach Hause melden muß, um sich wirklich im Urlaub gefühlt zu haben: eine Spezies von Reisenden, die eine Mischung aus Ruhe und Begegnung suchen, das eine aber nicht als muffelige Abkapselung von der Welt, das andere nicht als schulterhauende Kumpanei begreifen, sondern die vor allem lernen wollen, die Umgebung und das Leben darin zu lesen. Das Land um die 2.800 Jahre alte Griechensiedlung herum bietet alle paar Meter Gelegenheit dazu - ob man eine Fahrt um den Cilento (die südliche Campania) herum macht und die Stätten abgrast, wo die unzähligen „Sarazenentürme“ vom Dauerkampf gegen Seeräuber künden und Plaketten an die ersten großen demokratischen Aufstände (etwa der Carbonari 1828) gemahnen, oder am Strand von Agropoli den Fischern zuguckt (in Acciaroli lebte lange Ernest Hemingway, und der alte Tonio schwört Stein und Bein, daß mit dem Alten Mann und das Meer just er selbst gemeint war). Es gibt Maultierritte zur Plattform der Punta Tresino und Unterwasser-Expeditionen bei Santa Maria di Castellabate, und man kann per Fischerboot zum Felsen von Punta Licosa schippern, dorthin, wo nach der Sage einst die Sirene versteinert wurde.

och den Hoteliers in Paestum ist nicht nur klargeworden, daß ihr Ort sich hervorragend als längerfristiger Stützpunkt für Ausflugswillige eignet. Sie entdecken auch nach und nach, daß immer mehr Fremdlinge nicht mehr für die reiseführerüblichen Monument- und Sagenfahrten schwärmen, sondern auch das suchen, was anderwärts an Natur schon abgestorben ist, oder volksnahe Traditionen und Tätigkeiten sehen (und manchmal sogar erlernen) wollen. So bietet eine Reihe von Hotels in Paestum nun außerhalb der Hochsaison allerlei Kontakte und Besuche an, die eine genauere Kenntnis des Landes ermöglichen. Beispielsweise Gänge und Fahrten zu den Weiden der riesigen Wasserbüffel, aus deren Milch der weltberühmte Mozzarella-Käse bereitet wird. Danach wird eine der Käsereien besucht, in der noch nicht maschinell gearbeitet wird, sondern von Hand täglich 50 bis 60 Zentner der weißen Kugeln hergestellt werden. Es gibt, saisonangepaßt, Ausflüge in Bergzonen mit noch einigermaßen intakter Fauna und Flora, in unterirdische Grottenzüge, zur Rebe- oder Olivenlese und, natürlich, auch zu allerlei Weinproben.

Es ist der Versuch, einen Ort, dessen Traditionen im Trubel der Dreimonats-Höchstsaison noch nicht, wie anderwärts so oft, untergegangen sind, einerseits attraktiv zu machen, andererseits den Einwohnern wieder das Bewußtsein zu geben, daß auch ohne Monsterbauten und Repräsentations-Gigantismus Leben und Überleben möglich ist.

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