: Viva il Pallone!
■ Italien im Fußballrausch. Michaela Namuth besuchte ein "ganz normales"Spiel in Rom
ir haben es eilig. Alle haben es eilig an diesem Sonnensonntag in Rom. Um 15.00 Uhr beginnt das Spiel Roma -Atalanta im Stadio Flaminio.
Calcio - Fußball: Die einzig wahre Regierung vielleicht, die die Nation je einte. Seit dem ersten Anpfiff im Jahre 1887 in Turin hatte die italienische Fußballkultur Zeit zu gedeihen. Fußball a l'italiano ist ein Exportschlager. Wo die Lira rollt, da rollt auch das Leder. Maradona hat es vorgemacht. Er hat Garibaldi enthront, dessen Einigungsbemühungen Bruchwerk blieben. Doch als die Neapolitaner seinem steinernen Ebenbild das Hemdchen Maradonas überhängten, da hat der Kämpfer der Vergangenheit keine Miene verzogen. Er hat Verständnis für historische Siege. 1987 hatte der Süden gegen den Norden gewonnen hundert Jahre nach der Geburt des pallone. Aus den Brunnen Neapels floß roter Wein.
Marco, mein Begleiter, zieht die sonntäglichen „Routinespiele“ vor. Vor allem, weil er dort seine Kumpels trifft und weil es sonntags einfach nichts Schöneres gibt als die partita. Ich habe noch keine Karte. Wir hoffen aber auf den regen Schwarzmarkthandel vor dem Stadion. Doch das ist die zweite Hürde. Erstmal muß der Wagen geparkt werden. Vor dem Stadion türmt sich bereits ein scheinbar undurchdringlicher Blechberg. Ich beginnen zu schwitzen. Doch Marco bleibt ruhig. „Eh capo, wir müssen schnell den Wagen abstellen“, ruft er einem Alten mit Schirmmütze zu, der geschäftig mit einem Block Parkscheinen herumwedelt.
Der capo arbeitet auf eigene Faust und - wenn keine halblegale oder illegale Organisation hinter ihm steht auch in die eigene Tasche. Er weiß, daß einer wie er heute gebraucht wird. Im Gegensatz zum römischen Stadtrat, hat er die Parksituation unter Kontrolle. Der Alte wackelt auf uns zu, steckt unsere 2.000 Lire ein und - ecco - wir parken in der vierten Reihe. So einfach ist das! Vor dem Eingang treffen wir Pietro und Vulvio. Der dicke Pietro schwenkt eine Fahne. Er hat bereits einen Kartenverkäufer an der Hand, der uns die Karten mit 3.000 Lire Aufschlag großzügig überläßt. Ein biglietto auf den billigen Plätzen kostet umgerechnet rund 22 DM.
arco, Pietro und Vulvio kommen aus dem Vorstadtviertel Torre Angela. Alle drei sind sie Ende zwanzig. Früher, in den Siebziger, haben sie mal zusammen Politik gemacht außerparlamentarisch, versteht sich. 1977 war der Höhepunkt der linken Protestbewegung, die dem sogenannten „Heißen Herbst von 1969 folgte. Rom war der Schauplatz von meist in Massenschlägereien endenden Demonstrationen. In der damaligen Aufbruchstimmung sahen die Kinder der Barackenviertel ihre Chance. Heute ist die Euphorie längst verpufft. Das Volk hat weder die Stadt geerbt, noch wurden Schmutz und Krankheit verjagt. Verjagt wurden die einstigen Bewohner der Viertel im Zentrum der Stadt. Sie ziehen in die borgate, in die Vorstädte. Neben den illegal errichteten Baracken stehen dort schnell hochgezogenen Wohnsilos. Inzwischen leben rund vier Fünftel der drei Millionen Römer in der Peripherie. Oft hausen achtköpfige Familien in zwei, drei Zimmern. Für Halbwüchsige ist da kein Platz mehr. Doch auch sonst gibt es außer der Straße keinen Ort, an dem sie sich treffen können.
Den politisierten Jugendlichen von einst ist heute die gemeinsame partita am Sonntag geblieben. Die Linke - das bedeutet für sie jetzt kaum mehr als die Nostalgie der späten Siebziger, als die Politik noch Aktionismus war. Die Kommunisten halten sie seit der Ära Occhetto für nicht mehr wählbar. „Seit die sich 'modernisiert‘ haben, sind sie von den Sozialisten kaum noch zu unterscheiden. Die schreiben jetzt ihre Geschichte neu, Togliatti wird gestrichen. Das versteht bei uns kein Mensch mehr, auch nicht die Alten, die treu zur Partei stehen.“ Mehr mag Vulvio jetzt nicht mehr sagen - zur Politik und so. Das Spiel fängt in zehn Minuten an, und wir haben noch keine Plätze.
ewaffnete carabinieri schleusen uns in die Nordkurve des Stadions, dort wo die römischen tifosi, die eingefleischten Fans sitzen. Die Platzordnung ist mehr oder weniger nach Stadtvierteln geregelt. In der anderen Kurve sitzen die Fans der norditalienischen Mannschaft. Es gibt wenig Berührungsmöglichkeiten. Beide Kurven sind gerammelt voll. Ein teurer Seitenplatz kostet bis zu rund 130 Mark. Dort ist es dementsprechend leer. Neben uns formiert sich ein Orchester. Eine Gruppe Jugendlicher hat Trommeln mitgebracht. Ein Junge mit Stirnband dirigiert den Haufen. Der Schlachtruf Forza Roma wird rhythmisch einstudiert. Es sind auch Mädchen dabei. Eine von ihnen schlägt ihrem Vordermann zu Beginn des Spiels begeistert ihren Lautsprecher auf den Kopf. Doch ihre schlagkräftige Anwesenheit ist eine Ausnahme: Fußball ist immer noch Männersache! Perche, perche la domenica mi lasci sempre sola? - Warum läßt du mich sonntags immer allein, um zum Fußballspiel zu gehen? Seit Rita Pavone hat sich nichts geändert.
Pietro dreht einen Joint. Alkohol ist selten im Spiel auf italienischen Fußballplätzen. „Die Fans sind besoffen von der Atmosphäre, von ihrem eigenen Geschrei“, kommentiert Marco. Gekifft wird immer - ein bißchen. „Sind das hier in der Kurve die ragazzi von Pasolini?“ Diese Frage kann ich nicht unterdrücken. Marco grinst: „Oh nein, das sind vielleicht ihre Söhne.“ Er fügt aber leise hinzu: „Der Onkel von Vulvio, der hat was mit Pasolini gehabt. Ist 'ne echte Berühmtheit in Tor die Quinto. Aber jetzt ist er im Norden. Er hat dort geheiratet.“ Pasolini mögen sie, denn der hat über sie geschrieben. Die Wahrheit.
Der Familienvater hinter uns betrachtet gleichgültig den kreisenden Joint. Die Spieler laufen ein. Die Meute in unserer Kurve begrüßt die feindliche Mannschaft mit einem lauten, aber herzlichen: „Da Vasco, figlio di puttana!“ (Da Vasco, du Hurensohn!) Das Spiel läuft langsam an. Der Familienvater stört sich an der jüngsten Errungenschaft seines Vereins: „Für den Völler hat Roma Tausende von Millionen gezahlt und jetzt steht er blöd herum.“ Herausfordernd blinzelt er mich an.
er untersetzte Glatzkopf neben uns drückt fest sein radiolini ans Ohr. Während er konzentriert auf das Spielfeld stiert, hört er gleichzeitig die Ergebnisse der anderen Spiele ab. Den Umsitzenden gibt er bereitwillig Auskunft. Er ist ein ruhiger tifosi. Nur einmal, als der sizilianische Torwart seiner Mannschaft den Einsatz verpatzt, wird er laut: „Gerade den hat's beim letzten Erdbeben nicht erwischt!“, brüllt er rotköpfig aufs Feld. Die Römer mögen die meridionali, die „Südstaatler“ nicht. Aber ebensowenig lieben sie die aus dem Norden. Rom ist für sie die schönste Stadt der Welt und sie wäre noch schöner, wenn südliche Faulheit und Fatalismus und die nördliche Arroganz von ihr ferngehalten würden. Für den Norden Italiens wiederum ist Rom eine Mißgeburt mit einem Wasserkopf aus überflüssigen Verwaltungsbeamten und mageren Ärmchen, die wenig produzieren. Und die im Süden können es immer noch nicht verwinden, daß sie von Rom aus regiert werden.
Gottseidank gewinnt Rom mit 2:1. Die Römer sind milde gestimmt. Völler hat ein Tor für Rom geschossen - viva il tedesco! Auch dem Feind wird ein exzellentes Tor zugestanden. Wir quälen uns langsam aus dem Blechdschungel heraus. Mein deutsches Nummernschild provoziert solidarische Zurufe. Wir werden begeistert angehupt und mit Fahnenschwung verabschiedet. Das Autoknäuel löst sich schnell auf. Sonntags gibt es weniger Staus.
Um den Sieg zu feiern, fahren wir in Marcos Pizzeria. Mit Vulvio und dem immer noch fahnenschwingenden Pietro trinken wir Wein in dem leeren Lokal. „Der Deutsche hat's gebracht“, Pietro prostet mir grinsend zu. Er raucht jetzt nicht mehr die traditionelle Proletenzigarette „MS“. Vor ihm liegt ein Päckchen der jungen „MS„-Fußballschwester: „MS mondiali“.
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