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Die moralische Überlegenheit genügte nicht

Costa Ricas Fußball aus Liebe und Zärtlichkeit scheiterte an Skuhravys Dickschädel / Mit 4:1 erreichte die Tschechoslowakei das Viertelfinale und darf in Mailand gegen die Deutschen oder die Niederländer spielen / Skuhravy mit fünf Treffern führender Torschütze  ■  Aus Bari Reimar Paul

Die costaricanische Fangemeinde, die am Samstag nachmittag auf der „Piazza Aldo Moro“ in Bari für ein Gruppenfoto posiert, ist arg zusammengeschrumpft. Die meisten Anhänger sind schon am Vortag aus Italien abgereist. Sie hatten nicht im Traum damit gerechnet, daß ihre Mannschaft die Vorrunde überstehen, geschweige denn als stolzer Gruppenzweiter abschließen könnte, und hatten, diesen Erwartungen entsprechend, für den 22.Juni ihren Rückflug gebucht.

Einer von denen, die noch geblieben sind, ist Ricardo Rodriguez Vega, ein Ingenieur aus San Jose. Mit „amor y carino“, Liebe und Zärtlichkeit, die seine Mannschaft gegenüber dem Fußballsport empfinde, erklärt er den bisherigen Höhenflug. Diese gewissermaßen moralische Überlegenheit würden auch die zukünftigen Gegner anerkennen müssen, allen voran die Tschechoslowakei.

Soweit kam es dann zwar nicht, doch machten die Kicker aus Mittelamerika dem haushohen Favoriten mehr als eine halbe Stunde lang das Leben und Spielen schwerer, als diesem lieb sein konnte. Die „Ticos“, wie die Kicker aus Costa Rica von ihren Fans liebevoll genannt werden, überzeugten dabei nicht nur durch gefälliges Spiel, sondern beeindruckten, obwohl im allgemeinen nicht als unbedingt kombattives Volk beleumundet, auch mit erheblicher Kampfkraft. Das frühe 0:1

-eines von drei Kopfballtoren des überragenden Skuhravy, steckten sie ebenso weg wie eine veritable Gehirnerschütterung ihres Mittelfeldmannes Marchena, der noch Minuten nach dem Zusammenprall mit einem tschechoslowakischen Abwehrspieler über den Platz torkelte, als wisse er nicht, wo links und rechts ist.

Mehrere der respektlos und engagiert vorgetragenen Angriffe, so durch Flores in der 25. und durch Cayasso in der 35.Minute hätten sogar noch vor der Pause zum verdienten Ausgleich für Costa Rica führen können. Zudem stellte Ersatztorwart Barrantes, für den wegen einer Rippenprellung zwangspausierenden Stammkeeper Conejo zwischen den Pfosten, eine durchaus gute und bisweilen spektakulär durch den Fünfmeterraum hechtende Vertretung dar.

Augenscheinlich mit dem festen Willen aus der Kabine zurückgekehrt, ihrem Land einen weiteren nationalen Feiertag zu bescheren, legten die Costaricaner zu Beginn der zweiten Halbzeit sogar noch nach. 55 gespielte Minuten zeigte die Stadionuhr an, als sich der kleine zwanzigjährige Gonzales auf eine Art hochschraubte, wie es sonst allenfalls Karl-Heinz Riedle vermag, und den Ball ins tschechoslowakische Tor drückte. In den folgenden Minuten spielten die Ticos in einem regelrechten Rausch, zweifellos aber auch über ihre Verhältnisse, denn nachdem Skuhravy den in dieser Phase einzigen tschechoslowakischen Konter mit dem 2:1 abgeschlossen und der von seinem Kopfschmerz offensichtlich genesene Marchena waagerecht in der Luft liegend ein sogenanntes Jahrhunderttor nur knapp verpaßt hatte, war es mit der mittelamerikanischen Fußballherrlichkeit urplötzlich vorbei.

Die CSFR-Elf dagegen machte nun Dampf. Eine Viertelstunde vor Schluß zirkelte Kubik einen Freistoß an Abwehrmauer und Torwart vorbei ins Netz, und nach der zehnten und letzten Ecke war erneut Skuhravy mit seiner Stirn an der richtigen Stelle, um das Ergebnis auf 4:1 und sein persönliches WM -Torkonto auf fünf Treffer zu erhöhen.

Für Thomas Skuhravy, der an diesem Abend den bisherigen tschechoslowakischen Starstürmer Knoflicek glatt vergessen machte, waren nach dem Spiel auch die costaricanischen Fans des Lobes voll. „So einem“, schwärmte Ricardo Rodriguez Vega auf dem Bahnhof, „sieht man an, daß er mit Herz und Gefühl bei der Sache ist.“

CSFR: Stejskal - Kocian - Kadlec, Straka - Hasek, Chovanec, Kubik, Moravcik, Bilek - Skuhravy, Knoflicek

Costa Rica: Barrantes - Flores - Montero, Marchena - Chaves, Obando (50. Medford), Cayasso, Ramirez, Gonzales, Chavarria (66. Guimaraes) - Jara

Zuschauer: 28.000

Tore: 1:0 Skuhravy (12.), 1:1 Gonzales (56.), 2:1 Skuhravy (63.), 3:1 Kubik (77.), 4:1 Skuhravy (83.)

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