Ein schwer erkämpfter Sieg

■ WM im Cafe Sand: Harter Kampf um jeden Meter und jeden Tropfen

Während eine halbe Stunde vor Anpfiff die Schwarzmarktpreise für den Eintritt ins Guiseppe-Meazza-Stadion von 1.500 Mark auf 28 purzelten, platzte das Cafe Sand, Bremens neuer Fußballtreff neben dem Weserstadion, am Sonntag abend aus allen Nähten: Die Luxuslogen mit Tisch, Stuhl und Jubelnische waren restlos ausgebucht, die überdachten Stehplätze in der Tresenkurve

dicht besetzt, ein wilder Kampf entbrannte schon vor dem Spiel um jeden Quadratzentimeter beinharten Bretterbodens auf den Rasiersitzreihen unmittelbar unter dem Fernsehbildschirm. Die letzten Zuschauer schließlich hatten den Trost, daß sie unter dem gleichen Himmel stehen konnten, unter dem sich 1.200 Kilkometer weiter südlich Rudi Völler für sein bisher kürzestes Länderspiel warmlief.

Bei „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wurden die letzten Biere geordert und vorsorglich Aschenbecher geleert, als gelte es, die Kippenentsorgung für den Fall einer möglichen Verlängerung mit anschließendem Elfmeterschießen sicherzustellen. Während die Akteure auf dem Bildschirm die Stutzen hochrollten, krempelten die Recken im Cafe Sand die Ärmel hoch und gurgelten sorgfältig die für die nächsten 90 Minuten stark beanspruchten Stimmbänder durch. Gegen die Oranje-Hemden sollte gekämpft werden bis zum letzten Tropfen.

Die Fans schonten sich wahrlich nicht. „Rudiiii“ hallte es durch das Rund, Szenenapplaus, Buhrufe, Pfiffe, Fußtrampeln, Bier holen, Zigaretten drehen,

Aufspringen, Haare raufen, Nase bohren: Schon zur Halbzeit glänzten viele Gesichter unter einem leichten Schweißfilm. Neben den sportlichen Leistungen galt es die beiden Fernsehkommentatoren Heribert F. und Karl-Heinz R. (Namen sind der Redaktion bekannt, d. Red.) zu würdigen: Da blieb kein Auge trocken, als Heribert F. dem Holländer Marco van Basten „Saft-und Kraftlosigkeit“ attestierte und den argentinischen Schiedsrichter Loustau „am liebsten gleich zurück in die Pampas“ zu schicken drohte und sich für Kalle R. in der Leistung des amerikanischen Linienrichters eine Gefährdung der nächsten Weltmeisterschaft androhte.

Statt der wohlverdienten Halbzeitpause durchstanden die Fans in den fünfzehn fußballosen Minuten zahlreiche Bodychecks, bis sie sich zu Bier oder Toilette durchgekämpft hatten. Letzte, wichtige Anweisungen der Trainerin („Nicht so drängeln, ihr kriegt alle was“) motivierte die Truppe für die kommende zweite Halbzeit, die allen Beteiligten letzte Reserven abverlangte.

Zum Beispiel dem Zeltboden. Nach Klinsmanns Tor bogen sich die Dielen mit erstaunlicher Ela

stizität, knackten und ächzten unter den springenden Menschen, bebten mit im Jubel der erlösten Menge und hielten! Souverän trennten danach Flaschenöffner Kronkorken von hartnäckig versiegelten Flaschen, die Zapfhähne rauschten unter Kohlensäuredruck und taten ihr bestes, sich dem dramatischen Spielniveau anzupassen. Klar, daß das 2:0 durch Brehme den Mitkämpfern im Cafe das entscheidende „Alles klar“ signalisierte und der Rest des Spiels entsprechend entspannter verlief.

Mit dem Schlußpfiff fielen sich die Cafe-Kämpfer glücklich in die Arme. Einen gerechten Sieg hatten sie errungen, den sich die deutschen Fußballspieler in italienischer Ferne leider nicht als Aufzeichnung ansehen können. ma