: Antifa - suizidgefährdet?
Betr.: Randale in Lichtenberg am 23.6.90
Randale in Lichtenberg. Alles gegen die Faschos! Da finden sich 5.000 Leute, die dafür auf die Straße gehn, vom braven Bürgervolk kommen zaghafte Sympathiebekundungen; ist ja auch hohe Zeit, die Autoritäten im Lande zu Entschiedenheit gegen rechtsextreme Gruppen zu drängen.
Doch plötzlich steht die Polizei dazwischen...
Die Demonstranten schwenken ab; auf einem Platz in der Nachbarschaft gibt's die Abschlußmanifestation - doch die kampfentschlossenene Minderheit bleibt standhaft am Ort. Ein Schuß aus der Leuchtpistole gibt das Signal - alles auf, gegen die Bullen! Klar, denn die schützen ja hier die Faschos vor... ja, vor wem?
Da stehen sie nun, frisch behelmt und beschildet, von ihrem Oberchef zu Konservativen degradiert, und haben aus den vergangenen Wochen so manche Erfahrung im Kopf. Wenn ihre Kommandierenden rechtzeitig reagierten, hatten sie Hausbesetzer, Schwule, alternative Cafes etc. vor dem Kampf mit den Glatzen zu bewahren. Verdammte Schlichterrolle! Solch unentschiedenen Zwischenschlägern muß man's doch mal zeigen!
Also drauf! An die Faschos kommt man ja nicht ran, die Bullen stehn davor. Randale muß sein, nun denn, gegen den, der im Wege steht! Und feige sind die auch noch - 20 Minuten lang Steinhagel, Löschaktionen, denn der IFA W 50 brennt ja so schön, schon steht der fünfte Mannschaftstransporter in Flammen! Ca ira!
17 verletzte Polizisten, vier „Zugeführte“ - nachdem per Wasserwerfer etc. dagegengehalten wurde. Da haben wir doch den Ost-Bullen mal knallhart gezeigt, wo's langgeht! Jetzt kann Herr Diestel endlich feststellen, daß auch in der DDR ein linksextremes Potential vorhanden ist. Wenn wir schon in Kreuzberg keine Chance haben, dann zeigen wir wenigstens im Osten, wohin der Hase läuft.
Denn die unterschwellige Sympathie für Typen, die verfallende Häuser besetzen, die Freiräume ausfüllen, bevor in ganz Deutschland zur Jagd auf linke Chaoten geblasen wird, diese Sympathie muß man der Polizei im Osten doch austreiben!
Die Sache ist ganz einfach - Bulle bleibt Bulle -, und wer am heftigsten angreift, ist am meisten links und bringt uns extrem voran. Und die den zweiten Stein werfen, brauchen sich nur noch einen Dreck darum zu kümmern, wen der Steine -Vorwerfer gerade ins Gesicht getroffen hat...
Nur weiter so - denn was soll uns die Sympathie des Kleinbürgers, wenn's gegen rechts geht, wozu brauchen wir Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei; im Westen gab's die nie, also müssen wir sie auch im Osten kaputtmachen!
Dann wird auch der Ost-Bulle endlich begreifen, wo sein Platz ist, nämlich gegen links!
Danke, Ihr „Anti„-Faschos!
Thomas Leinhos, Ost-Berlin
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