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Kein Grün mehr im nächsten Parlament?

■ Als Nachhut im Vereinigungsprozeß suchen die Bonner Grünen nach Partnern in der DDR

Es ist höchste Eisenbahn: gesamtdeutsche Wahlen im Dezember und noch kein grün-bürgerbewegtes Bündnis unter Dach und Fach. Um dem abzuhelfen, finden heute und morgen in Berlin/DDR Gespräche zwischen dem neuen Bundesvorstand der Grünen, der Grünen Partei, dem Bündnis 90 sowie dem Unabhängigen Frauenverband und der Vereinigten Linken statt. Während Grün-Grün sich langsam aufeinander zubewegt, ist bei den meisten Bürgerbewegungen der DDR noch alles offen.

Das Bild von „rasenden Zügen“ wird gerne und häufig strapaziert, wenn man derzeit mit Vertretern der Grünen und Bürgerbeweungen über ihre Perspektiven bei den gesamtdeutschen Wahlen im Dezember diskutiert. Da ist viel von Geschwindigkeit und Zeitdruck die Rede, oder auch dem „schlimmsten Fall“ einer Fünfprozenthürde. „Unsere Linie war immer, uns Zeit zu lassen. Jetzt sehen wir, daß viel Wunschdenken dahinter gesteckt hat, meinte dazu eine Mitarbeiterin des Bonner Bundesvorstandes der Grünen.

Nicht nur das Damoklesschwert der Fünfprozenthürde hängt über dem grün-bürgerbewegten Spektrum: Hier wird noch das Ob eines gemeinsamen Wahlbündnisses diskutiert, während es bei den bundesdeutschen Altparteien höchstens noch um das Wie der Vereinigung geht. Die Liberalen wollen sich bereits im August zusammenschließen, die Sozialdemokraten im September, und die Christdemokraten im Oktober. Mit dem „Wie“ wird nicht viel Federlesens gemacht: Die jeweiligen Parteivorstände werden erweitert, einige Alt- oder Neupolitiker kooptiert, und die Einheit ist perfekt. Der schnelle Anschluß, ist bei den Grünen und Bürgerbewegungen naturgemäß schwerlich denkbar.

Dennoch: Die Zeit drängt, und das Gespenst einer gesamtdeutschen politischen Betonlandschaft für eine oder gar mehrere Legislaturperioden steht drohend am Horizont. Kein Wunder also, daß zumindest unter den Grünen in Ost und West an Konzepten für ein Zusammengehen bei den Wahlen gefeilt wird. Der Vorstand der Grünen Partei der DDR hat am Dienstag seine Marschrichtung für die Gespräche mit den Bundesgrünen zurechtgelegt: Eine Konföderation beider Parteien mit personeller, finanzieller und inhaltlicher Autonomie soll es sein. „Die Grünen“ - der Name soll beibehalten werden - sollen, so der Vorschlag, eine Sektion Ost und eine Sektion West mit einem gemeinsamen Koordinierungsrat der Länder als organisatorischen Rahmen bilden. Dies entspricht in etwa den Vorstellungen, die die West-Grünen auf ihrem letzten Bundeskongreß Anfang Juni beschlossen haben. Allerdings soll das angestrebte „ökologisch-radikaldemokratische Bündnis“ auch mit den Bürgerbewegungen, dem Unabhängigen Frauenverband, der Vereinigten Linken, „auf jeden Fall“ aber dem Bündnis 90 zusammengehen. Und genau hier hakt es.

Die im Bündnis 90 zusammengeschlossenen Gruppen - das Neue Forum, Demokratie Jetzt (DJ), die Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) - sind sich in der Frage gesamtdeutscher „Reichtagswahlen“ bislang nicht einig. Vorreiter für ein breites Wahlbündnis ist Demokratie Jetzt, kleiner und in sich homogener als etwa das Neue Forum. In einem Beschluß der 4.Vertreterkonferenz am letzten Wochenende in Dresden wird ein breites gesamtdeutsches Bündnis und die Aufnahme von „unverzüglichen formellen Verhandlungen“ gefordert. Für Stefan Bickhard, Geschäftsführer von DJ, ist die Alternative klar: Entweder man zieht sich auf die „alte Identität“ der DDR-Opposition zurück oder stellt sich den Realitäten. Dies bedeutet den Versuch, die deutsch-deutschen Einigung ungeachtet des „forcierten Tempos“ bewußt mitzugestalten, die Identität der Träger des Umbruchs in den politischen Prozeß miteinzubringen - bis hin zu einer möglichen Koalitionsregierung.

Just die Frage der Identität als Bürgerbewegung steht für die Mitglieder des Neuen Forums im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. EinDiskussionspapier des Republiksprecherrates mit dem Titel „Eine Bürgerbewegung für alle“ mündet in der Aufforderung an DJ und die Initiative, sich dem Neuen Forum anzuschließen. An die Adresse der Grünen Partei gerichtet heißt es, sie müsse sich überlegen, ob sie Partei bleiben oder Bürgerbewegung werden wolle - eine etwas provokative Formulierung, wie Michael Kukutz, Geschäftsführer des Neuen Forums, zugibt. „Wir haben ein angenehm trotziges Selbstbewußtsein“, so Kukutz weiter, „wir müssen erst einmal eine Selbstverständnisdiskussion über die Frage, wohin wir uns öffenen, führen, unsere eigenständige Organisation erhalten und uns nicht aus dem Sachzwang Reichtagswahlen heraus in einer Organisation auflösen, die westlicher Natur ist.“

Michael Arnold vom Neuen Forum Leipzig interpretiert das Diskussionspapier jedoch etwas anders. Ihm schwebt eine gemeinsame Kandidatenliste unter dem Signet des Neuen Forums vor, die zu den Landtagswahlen und auch den gesamtdeutschen Wahlen antritt. Wenn allerdings nach bundesdeutschen Recht gewählt wird, könnte seiner Auffassung nach auch ein Zusammengehen mit den West-Grünen in Erwägung gezogen werden. Noch ist alles offen, über den weiteren Weg des Neuen Forums soll Anfang Juli entscheiden. Auch Arnold plädiert dafür, nichts zu überstürzen und keine unbewältigten Konflikte, etwa mit der Grünen Partei oder den Linken bei den West-Grünen, die im Falle eines Bündnisses einen Rechtsrück befürchten, unter den Tisch zu wischen.

Wo die einen also ein behutsames Vorgehen anmahnen, ihre Position erst grundsätzlich klären und an ihrer Eigenständigkeit festhalten wollen, drücken andere angesichts des „rasenden Zuges“ in Richtung Einheit selbst aufs Tempo, um in einem künftigen Gesamtdeutschland ihres parlamentarischen Arms nicht beraubt zu sein. Doch bis der Termin für eine grün-bürgerbewegte Vereinigung steht, dürfte noch viel Zeit vergehen.

Beate Seel

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