: SCHUTZPOLITIK
■ „Der starke Ferdinand“ von Alexander Kluge
Daeinst, im längst vergangenen Monat Mai, machte Herr Diestel einen Vorschlag, was mit den Ex-Stasi-Leuten geschehen solle. Er bewies historischen Instinkt. Und Sinn für die bemerkenswerte Kontinuität der deutschen Beamtengeschichte: Er, Diestel, könne es nicht zulassen, „daß so viele gut ausgebildete, an Disziplin gewöhnte Menschen, die mit den Waffen umgehen können, völlig perspektivlos herumirren...“. Wie vor ihm ungezählte Nachkriegs- und Nachrevolutionspolitiker beschwor der Innenminister auf ein neues die Version ziellos herumballernder Ex-Staatsgetreuer. Die einzige und pragmatischste Möglichkeit, das vielköpfige Monstrum (das „große terroristische Potential“) zu bändigen, sei, es an ein anderes zu beschützendes Objekt/Subjekt anzudocken. Wenn dieser Vorschlag zu überzeugen vermag, dann vielleicht durch den unerschrockenen Mut des Dompteurs, der in Diestel steckt. Keineswegs aber durch die Originalität der Argumentation. Alexander Kluge zum Beispiel führte sie schon vor 15 Jahren ad absurdum, in seinem Film Der starke Ferdinand.
Ferdinand Rieche wird gespielt von Heinz Schubert, der Serienfreunden als „Ekel Alfred“ sicher noch in Erinnerung ist. Der Film beginnt mit einer neuen, beruflichen Herausforderung für den ehemaligen Polizisten Rieche; ein großes Industrieunternehmen hat ihn als Betriebsschützer engagiert. Gleich zu Beginn seiner sechsmonatigen Probezeit erwischt er die große, blonde Gabi beim Klauen. Auf ihr Geständnis („Ich spar‘ für ein Taxiunternehmen“) folgt mit zwingender Logik ein Verhältnis, in dessen satirischem Mitelpunkt ein zu enges Junggesellenbett mit hellblauer Daunendecke steht.
Tagsüber trainiert Rieche seine Truppe. Im Unterricht lehrt er sie schießen, Fangfragen stellen und scheucht sie, der Kondition wegen, über einsame Wiesen im romantisch verschneiten Ruhrgebiet. Die Uniformierten sind zwar fit, können aber nichts damit anfangen. Deswegen läßt Rieche es zu der einen und anderen Explosion kommen, in seinen unruhigen Träumen oder auch im Wachzustand, und die Feuerwehr muß gerufen werden. Einmal - er kommt gerade gutgelaunt aus einem Campingurlaub zurück - zieht er sich sogar selbst den Seidenstrumpf übers Gesicht und läßt sich als Fake-Saboteur von seinen Jungs fangen. „Rieche braucht den Ernstfall. Wenn nichts passiert, liegt er brach.“ Als sich die Probezeit dem Ende zuneigt, steht der Betriebsschutzleiter unter Erfolgszwang. Das Vorstandsmitglied Wilutzki nörgelt herum, verlangt von Rieche sichtbare Beweise für seine unsichtbare Arbeit und deutet an, daß es wohl kaum zu einer festen Anstellung kommen wird. Rieche beschließt, diese Undankbarkeit zu rächen. In seinem beigen Benz fährt er Wilutzki nach und entdeckt, daß er in Belgien Geheimverhandlungen über Betriebsfusionen führt. Mit dieser übereifrigen Aktion laviert sich Rieche endgültig ins Aus, ihm wird gekündigt. Daraufhin bewirbt er sich beim Geheimdienst um eine Planstelle, vergeblich, denn „we're overstaffed„.
So irrt Rieche schließlich als „terroristisches Potential perspektivlos umher“. Doch im Unterschied zu Diestel, der an diesem Punkt der Geschichte davon ausgeht, daß „die Mafia oder ähnliche Verbrecherorganisationen auf sie (Stasi -Leute) aufmerksam werden“, vollzieht sich in Kluges Film das Naheliegendere. Rieche beweist, daß seine Arbeit und sein Können einen Sinn und eine gesellschaftliche Berechtigung haben. Zu Demonstrationszwecken schießt er einem Minister durch die Backe. Ob seine Tat politische Motive habe? Rieche: „Schutzpolitische. Es bedeutet, daß ein Bedarf besteht.“
Kluge erzählt die Geschichte vom Betriebsschutzleiter Rieche fast konventionell, hin und wieder kommentiert durch ein paar schöne, einfache Sätze voller Wahrheit. Der Film ist von dezenter Unterhaltsamkeit mit vielen Szenen zum nachdenklichen Versinken in die 70er Jahre, die Dekade der Rundschnitte, Pullunder und des Terrorismus. Und ganz nebenbei ermöglicht diese historische Distanz Einsichten in die Gegenwart, weil der Realismus in diesem Film zeitlos -intelligent produziert worden ist. Ein gutes Geschenk, was Kluge vor Jahren seiner Heimatstadt Halberstadt machte: Er schenkte ihr die Rechte seiner Filme. So können sie völlig unbürokratisch zum richtigen Zeitpunkt wieder ins Programm genommen werden. Das Staatliche Filmarchiv der DDR wünscht im Begleittext einen „langanhaltenden Therapieerfolg“.
Dorothee Wenner
Im Babylon (Ost-Berlin): Fr., 29.6. um 17 Uhr; Di., 3.7. um 21 Uhr. - Im Regenbogen-Kino (West-Berlin): Fr., 29.6. bis So., 1.7. jeweils um 20 Uhr 30.
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