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Mehrfachabtreibungen

■ betr.: "Was nur einmal passieren darf", taz vom 12.6.90, Leserinnenbriefe dazu, taz vom 20.06.90

betr.: „Was nur einmal passieren darf“, taz vom 12.6.90, Leserinnenbriefe dazu, taz vom 20.6.90

Hier grenzen einmal wieder Frauen Frauen aus. Und sie werten, moralisieren, wehren ab und reduzieren das Problem der ungewollten Schwangerschaften auf die Kopfebene. Aber so einfach funktionieren wir eben nicht: Regeln aufgestellt und danach gehandelt. Was unsere Sexualität und deren Ausdruck bestimmt, ist vielschichtiger als von den Leserinnen angesprochen. Welche Einflüsse letztendlich bei uns Frauen eine Rolle spielen, ist bedingt durch Lebensläufe/ -geschichten, durch die Situation, in der jede Frau lebt. Undenkbares - nämlich mehrere Abtreibungen - wird unter Umständen plötzlich denkbar.

Wo liegt die größere Verwerflichkeit bitte, bei einem, zwei oder bei neun Abbrüchen? Wer von uns Frauen, die ein Stück gelebt haben, wollte darüber richten? Mehrfachabbrüche haben nichts mit Oberflächlichkeit, Morallosigkeit und Intelligenz zu tun. Es trifft die einen und die anderen nicht. Und die Mehrfachabtreiberinnen schweigen lieber, weil sie genau diese Form der Bewertung erwarten.

Leisere Töne, ihr Frauen, bevor ihr mit faulen Tomatenargumenten kommt!

Dorothee Widmann, Mehrfachabtreiberin

(...) Wenn Ihr angeblich parteilich für Frauen denkt, warum sperrt Ihr Euch, die Beweggründe der Frauen zu verstehen, die mehrfach abtreiben? Wie kommt Ihr darauf, daß mit Sterilisation „die Sache“ aus der Welt geschafft wäre? Und überhaupt, was denkt Ihr eigentlich über die beteiligten Männer? Oder ist frau nach wie vor allein verantwortlich für Verhütung und so weiter?

Anscheinend läuft in Eurem Leben immer alles nach Plan. Vielleicht habt Ihr Eure fragwürdige Plan-Emanzipation mit Löffeln gefressen. Vielleicht habt Ihr nie Probleme mit alten und neuen Rollenanforderungen gehabt, genauso mit Partnern und Verhütungsmitteln. Vielleicht habt Ihr in Eurer Sexualität und Eurer Liebe nie den Kopf verloren und und und. Wenn ich das alles nicht irgendwie auch schade fände für Euch, für das Verständnis und die Solidarität von Frauen untereinander, würde ich Euch glattweg gratulieren - zu Eurer perfekten Emanzipation.

Martina Burandt, Bremen

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