Das „Haus des homosexuellen Mitbürgers“

■ In der besetzten Ostberliner Mainzer Straße 4 leben rund 30 Schwule aus Ost und West / Das Tuntenhaus Forellenhof erteilt der schwulen Integration eine Absage: Bitte kein Selbsthilfecharakter nach Westberliner Durchschnittsvorbild / Die DDR-Schwulen reagieren zurückhaltend

Friedrichshain. Heiß und schwül ist es an diesem Abend. Im kahlen Raum der „Forelle Blau“ stehen junge Schwule am frischgemauerten Tresen. Es gibt Becks und Deutsches Pilsner. Aus dem Hinterraum schallen Hip-Hop-Grooves durch die neueröffnete Besetzerkneipe, eine Handvoll Leute tanzt dazu im dämmrigen Licht. Schade, ein paar mehr hätten schon kommen können zum Eröffnungsabend. Die Überraschung wartet hinter dem Durchgang zum Hof. Dort sitzen und stehen fast 300 meist Westberliner und lauschen den Vollplaybacknummern von Trümmertunten, Pepsi, Melitta und Chou-Chou. Auf einer improvisierten Bühne vor einem riesenhaften DDR-Staatswappen erteilen sie Nachhilfe in kapitalistischer Lebensführung: „Ja, in der Bundesrepublik, da machen alle gern Musik.“ Das Publikum tobt.

Mit einigen Tuntenhaus-Bewohnern bin ich am nächsten Tag zum Interview verabredet. Christopher-Street-Day steht vor der Tür. „Nützt nix, schadet nix“, kommentiert einer, „mir ist die Demo einfach zu früh.“ CSD, das ist Teil dieser bürgerlichen Schwulenbewegung, der viele im Haus bewußt den Rücken gekehrt haben. „Schwulenbewegung ist ein Instrument, um den Schwulen in die kapitalistische Gesellschaft zu integrieren, aber wenn du dich in vielen anderen gesellschaftlichen Kämpfen befindest, dann stellst du fest, es gibt noch ganz andere Schweinereien als den Paragraphen 175, dann willst du das ganze Rechtssystem verändern.“ Nicht umsonst ist deshalb der Forellenhof Teil des Gesamtprojekts Mainzer Straße.

Obwohl die meisten im Haus irgendwann mal in einer schwulen Gruppe drin waren, haben sie sich doch entschieden, lieber mit autonomen Männern und Frauen die Auseinandersetzung zu führen. „Und da sind in den letzten zweieinhalb Jahren doch einige Dinge in Bewegung gekommen.“ Die Patriarchatsdiskussion hat so manchen hartgesottenen Streetfighter dazu gebracht, seinen eigenen Machismo zu überdenken, die radikale Linke hat auch gelernt, übers Schwulsein zu diskutieren. Kaum Schwierigkeiten mit den anderen Häusern also, eher im Gegenteil, das Tuntenhaus Forellenhof ist so ein bißchen die Seele der Straße.

Einer der vier DDR-Schwulen, die im Haus wohnen, kommt zu unserer Diskussion dazu. „Ich werde hier diskriminiert“, scherzt er. „alles, was falsch ist, wird ‘ostig genannt.“ Mitten in Friedrichshain ist er als Ostberliner in der Minderheit. Woran könnte es liegen, daß sowenig Ostler hier leben?, frage ich ihn. Schwulenbewegung in der DDR, das ist zwar in der Vergangenheit stets Opposition zu staatlichen Stellen gewesen, und von daher wäre Häuser zu besetzen eine gewisse Konsequenz. Trotzdem fährt die schwule Bimmelbahn jetzt nicht in diese Richtung. „Eine Patriarchatsdiskussion wird in der DDR noch nicht geführt“, sagt er, „die Bewegung ist wesentlich enger gefächert als im Westen. Man einigt sich auf den Minimalkonsens, gegen den Paragraphen 175, und die Szene verbürgerlicht total.“

Trotz alledem entsteht langsam und zaghaft auch unter den Ostberliner Schwulen eine Unterstützung für das Tuntenhaus, das „Haus des homosexuellen Mitbürgers“, wie ein Graffito im Hinterhof meint. Viele treibt schlicht die Neugierde mal dahin. Zum Auftritt der legendären schwul-lesbischen New Yorker Theatergruppe „Hot Peaches“ kamen jede Menge DDR -Schwestern. Selbsthilfeprojekt a la West-Berlin will man auf jeden Fall nicht werden, das Haus aber so lange halten, wie es eben geht. Sieht man sich in der Tradition des Westberliner Tuntenhauses von '82? „Die sind geräumt worden, mit denen haben wir nichts zu tun!“ Alle lachen. Meine Gedanken schweifen noch einmal zurück zur Fete vom Vorabend. Zur Zugabe steigen alle, die im Fummel sind, auf die winzige Bühne. Im Licht der Scheinwerfer stimmt eine finnische Tunte die Internationale an. Und es ist nicht nur Wehmut, die die Gemüter in Wallung bringt, als der Refrain aus 300 schwulen Kehlen in die Nacht hinaushallt.

Dirk Ludigs