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„Die D-Mark wird unglaublich viele Probleme lösen“

Interview mit dem Ostberliner Wirtschaftsstadtrat Elmar Pieroth (zugleich CDU-Abgeordneter in West-Berlin) über die Auswirkungen der Währungsunion auf unsere Stadt  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Pieroth, wann haben Sie das letzte mal im HO -Markt eingekauft?

Elmar Pieroth: Vorgestern nachmittag.

Und was haben Sie mitgenommen?

Butter. So unfreundlich verpackt, daß ich mich nicht gewundert hätte, wenn die in Moskau hergestellt worden wäre. Mir kommt es darauf an, daß sich das Auge des Verbrauchers, auch des kritischen Verbrauchers, freuen kann beim Einkauf.

Ist die Tatsache, daß sich DDR-Produkte so schwer verkaufen, zu 50 Prozent ein Verpackungsproblem?

Es ist bestimmt zu 50 Prozent ein Marketing-Problem. Und da spielt die Verpackung eine große Rolle. Unter Marketing ist ja auch der Ruf eines Produktes zu verstehen. Wir wissen doch, daß die Hälfte des Absatzes vom Fernsehwerk Stassfurt an westliche Abnehmer - z.B. Quelle oder Otto-Versand geht. Viele der Produkte gehen dann zurück an die Käufer aus der DDR. Die DDR-Produkte sind besser als ihr Ruf. Aber wenn man jahrzehntelang keine Westwaren kaufen konnte und sie nur aus dem Fernsehen kannte, schätzt man die Qualität der DDR -Waren geringer ein. Mit der richtigen Werbeaufklärung, einer ansprechenden, hoffentlich nicht aufwendigen Verpackung und richtigem Dienst am Kunden beim Verkauf des Produktes wird es aber schon in ganz kurzer Zeit den Unterschied zwischen West- und Ostwaren nicht mehr geben.

Obwohl Sie Anhänger der freien Marktwirtschaft sind, mußten Sie in den vergangenen Wochen mit Kommandowirtschaft dafür sorgen, daß die Regale nicht völlig leer werden. Elmar Pieroth als Planwirtschaftler?

Ja, in diesem Fall. Aber man merkt, wie wenig Mittel man trotz der Kommandos hat. Und von der unsichtbaren Kraft, die Adam Smith beschreibt, den Menschen, die gar nichts voneinander wissen, geheimnisvoll gelenkt zum richtigen Abschluß treiben, bin ich natürlich immer noch überzeugt. Denn am Montag sind die Geschäfte wieder voll- ohne Kommando.

Letzte Woche haben Sie ausgeführt, daß ein großer Teil des Ostberliner Einzelhandels in westliche Hand kommen wird und daß man darüber noch einmal reden müsse. Was ist inzwischen geschehen? Da gibt es zum Beispiel die Firma Kaiser's, die sich fast den gesamten Ostberliner Lebensmittelhandel sichern will, indem sie mit der Rechtsnachfolgerin der HO-Kette eine neue Gesellschaft gründet.

Positiv ist zu sehen, daß sich die Konsumgesellschaften gestärkt haben - auch durch den Zukauf der Bolle-Läden in West-Berlin. Hier ist erstmalig der Erfolg in die umgekehrte Richtung gelaufen. Das ist ganz wichtig, denn da, wo die Entscheidungszentralen sitzen, in diesem Falle also in Ost -Berlin, da werden die Aufträge bilanziert. Zum zweiten haben sich westliche Filialisten verpflichtet, in Formen, die zur Zeit noch verhandelt werden, für Betätigungschancen für viele DDR-Einzelhändler zu sorgen. In diesem speziellen Fall, den Sie ansprechen, war praktisch schon alles unter Vertrag, als der neue Magistrat seine Geschäfte übernahm.

Die Konkurrenz in West-Berlin ist über diesen Vertragsabschluß nicht gerade beglückt.

Das ist die Konkurrenz, die das gleiche getan hätte, wenn sie zum Zuge gekommen wäre.

Halten Sie diese Lösung für glücklich, und hätte es nicht andere Möglichkeiten gegeben, das Ganze etwas mehr aufzusplitten?

Wir hatten die klare Regel besprochen, je kleiner der Unternehmer, und je mehr DDR-Bürger beteiligt sind, um so eher sollte der Zuschlag gegeben werden. Bei Kaiser's konnten wir nichts mehr unternehmen. Ein anderes Kriterium ist auch die Frage, wer in der Lage ist, besonders viele DDR -Produkte zu vertreiben - auch in Westdeutschland. Das kann der kleine DDR-Mann jetzt nicht, wir hätten dazu drei Monate mehr Zeit haben müssen. Bei uns haben es ja die Kleinen schon schwer, sich gegen die expandierenden Großen zu behaupten. Wenn die Großen aber schon vor den Kleinen da sind, dann haben die es erst recht schwer.

Wenn Sie einen Ausblick in den Herbst wagen - wie sieht der aus?

Die D-Mark wird unglaublich viele Probleme lösen. Ich rechne in der Industrie, allein was die schnelle Verfügbarkeit über Ersatzteile und Fuhrmaterial angeht, mit einem Produktivitätsschub von über 30 Prozent. Das bestätigen auch Wirtschaftsinstitute. Wenn die Produktivität steigt, können auch höhere Löhne gezahlt werden.

Aber die D-Mark bringt auch viele Probleme. Befürchten Sie nicht eine Streikwelle während des Sommers?

Es wäre schade, wenn die Kraft, die wir für die Produktivität brauchen, verlorenginge.

Im Süden der DDR gibt es offensichtlich eine größere Bereitschaft, zu investieren oder Gewerbe anzumelden als in Berlin. Wie erklären Sie sich das?

Im Bezirk Chemnitz, der etwa genauso groß ist wie Ost -Berlin, gibt es etwa 1.200 Investitionsanträge, vornehmlich von außerhalb der DDR. Hier haben wir etwa 400. Ähnlich sieht's bei den Gewerbeanmeldungen aus. Ich vermute, das hängt mit der großen Zahl von Angestellten in Berlin zusammen. Da kommt der Gedanke, sich selbständig zu machen, seltener auf. Möglicherweise ist das, was man früher sächsischen Gewerbefleiß nannte, der Grund. Das heißt natürlich nicht, daß die Preußen faul sind. Das sächsische Gewerbe war breiter und viel mittelständischer angelegt.

Ist der Leidensdruck im Süden größer? Da muß ja viel mehr getan werden, um West-Niveau zu erreichen.

Ja, oder positiv ausgedrückt: Den Berlinern fehlte doch nicht so viel.

Wie wollen Sie der preußischen Lethargie begegnen?

Lethargie darf ich nicht sagen. Uniformität vielleicht. Denen möchte ich aufzeigen, daß ein selbständiges Leben in kleinen Dimensionen immer noch viel interessanter ist als in großen Dimensionen, wo man nur ein kleines Rädchen ist. Was übrigens der taz zu propagieren nicht so schwerfallen dürfte.

Was würden Sie den Ostberlinern, die selbständig werden wollen, für Tips geben?

Wenn wir uns heute abend in Ost-Berlin zu einem gepflegten Essen mittlerer Qualität verabreden wollten, müßten wir entweder Schlange stehen oder gleich darauf verzichten. Wenn wir Bekannte aus dem Ausland hätten, die in einem Familienhotel unterzubringen wären, würden wir gleich nach West-Berlin gehen. Wären wir an einem der wunderschönen Seen in der Umgebung von Berlin, würden wir auf dem Rückweg kaum eine Gaststätte finden, die uns zum Verweilen einlädt. Damit habe ich nur die interessantesten, nämlich die Möglichkeiten in der Freizeitbranche geschildert. Für den Einkauf des täglichen Bedarfs bis zur schicken Kleidung sehe ich die Chancen ähnlich.

Interview: Kordula Doerfler/Claus Christian Malzahn

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