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Der West-Berliner Handel wartet aufs große Geschäft

■ Kaiser's gründet neue Gesellschaft Hofka in Ost-Berlin / Andere Ketten warten noch / Konsum kauft Bolle / West- und Ostberliner Banken kooperieren / Das Ziel: Fusion

Berlin. Die meisten DDR-BürgerInnen starren auf den 2. Juli wie die legendären hypnotisierten Kaninchen. Wenigstens die akute Versorgungskrise, so hoffen sie, wird dann der Vergangenheit angehören. Während kurz vor dem Tag X die Ostberliner Geschäfte gähnend leer sind, rüsten Westberliner Handelsketten und Banken für den großen Ansturm. Obwohl die Regierungen beider deutscher Staaten immer wieder zu Besonnenheit im Kaufverhalten mahnen, rechnet der Westberliner Einzelhandel mit einem riesigen Käuferandrang nächste Woche.

Mit der Währungsunion gerät der Berliner Markt in Bewegung, bieten sich doch langfristig ungeahnte Absatzmärkte für den bisher abgeschnittenen Handel. Die Verhandlungen von einzelnen Ketten laufen schon seit Wochen und werden zum Teil streng geheim gehalten. Einsteigen wollen alle ins Ostberliner Geschäft, die Startchancen sind allerdings unterschiedlich verteilt.

Kaisers fusioniert mit HO und Intershop zu Hofka

Von den Westberliner Lebensmittelketten hat die Firma Kaiser's Kaffee den größten Sprung getan. Gemeinsam mit den Rechtsnachfolgern der HO-Läden und der Intershop will die Tengelmann-Tochter eine neue Gesellschaft gründen mit dem schönen Namen Hofka. Der endgültige Vertrag sollte gestern noch unter Dach und Fach gebracht werden. Zwar will HO angeblich auch 150 Läden in Ost-Berlin abgeben, die neue Gesellschaft hält aber voraussichtlich einen Marktanteil von mehr als 33 Prozent. Genauere Auskünfte wollte die Berliner Geschäftsleitung nicht geben.

Die Konkurrenz sieht dem Vertragsabschluß, für den die Verhandlungen nach Angaben des Ost-Berliner Wirtschaftsstadtrats Elmar Pieroth bereits unter dem alten Magistrat begonnen hatten, mit zum Teil deutlich geäußertem Ärger entgegen. Als einziges weiteres Westberliner Unternehmen eröffnet die Firma Meyer Mitte Juli in der Leipziger Straße eine Filiale, die derzeit umgebaut wird, an der aber schon der Firmenname prangt. Marketing-Chef Jörg Ridder beurteilt die Marktchancen im Ostteil als generell gut, weitere Projekte seien aber „noch nicht spruchreif“. Schon seit vierzehn Tagen wird in der neuen Filiale ein Notverkauf mit eingeschränktem Sortiment betrieben. „Weitere Filialen werden unter Umständen eröffnet“, der Zeitpunkt sei aber ungewiß.

Nicht zum Zuge gekommen ist bislang die Firma Reichelt. Nach Angaben des für den Osthandel zuständigen Günter Marzluff habe der Konzern keine Gelegenheit erhalten, ernsthaft in die Verhandlungen mit Ostberliner Ketten einzusteigen. „Für Reichelt ist es nicht so einfach möglich, groß einzusteigen, da wir nur ein Westberliner Unternehmen sind und nicht über die Finanzkraft des westdeutschen Kaiser's-Konzern verfügen“ erklärt er. Man sei risikofreudig, wolle trotzdem aber abwarten, wie sich die Gesetzeslage verändere. Am liebsten wolle man ein Grundstück kaufen oder pachten und dort neu bauen.

Kaum etwas zu erfahren war, wie üblich, von Aldi. Man wolle nach Möglichkeit Geschäfte eröffnen, so Geschäftsleitungsmitglied Hartmanns spärliche Auskunft, „alles andere ist nicht normal“.

Gegenzug: Ost-Berliner Konsum kauft Bolle

Ein prominentes Beispiel zeigt, daß die Geschäftsabwicklung auch in der anderen Richtung verlaufen kann: Am Donnerstag nachmittag beschloß der Coop-Aufsichtsrat in Frankfurt, sämtliche 120 Bolle-Filialen in West-Berlin an den Verband der Konsumgenossenschaften (VdK) zu verkaufen. Der Gesamtumsatz der Bolle-Filialen betrug 1989 auf insgesamt 65.000 Quadratmetern Verkaufsfläche 700 Millionen Mark. Als Verkaufspreis sind 240 Millionen Mark im Gespräch. Alle der über 1.500 MitarbeiterInnen sollen übernommen werden, als Alternative hätte dem maroden Unternehmen nur die Aufsplittung oder die Konkursanmeldung zur Verfügung gestanden. Mit der Ost-West-Transaktion wechselt die traditionsreiche Firma Bolle, die 1988 von coop übernommen wurde, in ein fast ebenso traditionsreiches Unternehmen über: Bereits 1899 wurde die Konsumgenossenschaft gegründet. Bis heute wuchs sie auf 300.000 Mitglieder. In Ost-Berlin besitzt die Konsumgenossenschaft 64 Kaufhallen, 11 Kaufhäuser, 80 Gaststätten und über 700 kleine Geschäfte.

Die Banken sind gerüstet

Gut gerüstet für die Währungsreform sind auch die Westberliner Banken. In mancher Namensänderung im Ostteil der Stadt kündigen sich schon künftige Fusionierungen an. Die Berliner Bank kooperiert bereits mit der Berliner Stadtbank - „mit Gedanken an die Zukunft“. In den elf Filialen der Berliner Stadtbank läuft der Umtausch ab Sonntag auf Hochtouren. Die Westberliner Volksbank arbeitet aufs engste mit der neu so benannten Berliner Volksbank (Ost), früher Genossenschaftskasse für das Handwerk. Eigene Filialen werde man erst einmal nicht eröffnen, im Endeffekt laufe alles auf Fusion hinaus, war von der Volksbank zu erfahren. Ab 2.Juli werde man versuchen, die West-Produkte dort anzubieten.

Seit einigen Wochen schon werden in den Westberliner Filialen Mitarbeiter aus dem Osten geschult. Personalschulungen betreibt auch schon seit vielen Wochen die Commerzbank. Sie hat drei eigene Zweigstellen in der Frankfurter Allee, der Spandauer und der Panorama Straße eröffnet, weitere sind geplant. Für den großen Ansturm rüste man sich, so ein Sprecher des Unternehmens, vor allem mit zwei Dingen: „Viel Geld und gute Nerven“.

Kordula Doerfler

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