: Ende des monetären Gefängnisses
Der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Hankel zur Währungsunion ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Prof. Hankel, wir wissen seit Wochen, daß riesige Geldmengen in die DDR transportiert werden, wir wissen sogar, wo sie gebunkert werden - aber wo kommt das Geld eigentlich her?
Wilhelm Hankel: Es wurde natürlich gedruckt. Der entscheidende Punkt ist, daß dafür ein entsprechender Betrag alter DDR-Mark aus dem Verkehr gezogen wird. Hier findet also nicht Geldschöpfung statt, sondern Geldaustausch.
Die gesamte DDR-Mark wird aus dem Verkehr gezogen.
Ja, sie geht unter. Und die „DDR“ wird jetzt genauso souverän sein wie die „Bundesrepublik“. Die DDR-Regierung kann alles, nur eines nicht: Über ihre eigene Zentralbank verfügen - ebenso wenig wie die Bundesregierung in Bonn auch. Es gibt jetzt eine Zentralbank, so wie andere Staaten in Europa - Luxemburg oder Liechtenstein - auch eine fremde Zentralbank benutzen.
Bisher war die DDR-Mark nicht konvertibel. Wie konnte man die Geldmenge berechnen?
Das ist mehr oder weniger technokratisch berechnet worden, man hat einen gemischten Umtauschsatz festgesetzt. Es ist nicht bekannt, wie die Bundesbank, die ja die globale Geldmengenhortleitung in der DDR zu verantworten hat, zu diesem Betrag gekommen ist. Sie hat offensichtlich gesagt, rund 120 Milliarden D-Mark können wir verkraften, mehr nicht. Das sind die gebunkerten Beträge.
Welche Risiken ergeben sich daraus, daß die Solidität dieser Zahlen nicht feststeht?
Jedenfalls kein Inflationsrisiko, obwohl das meist befürchtet wird.
Weshalb nicht?
Die in die DDR transportierte Geldmenge ist weltkonvertibel. Die DDR-Bürger können damit in jedem Land der Welt einkaufen. Und selbst wenn alles Geld, das jetzt in die DDR transportiert worden ist, in den nächsten 18 Monaten ausgegeben würde, würde das keine Inflationswelle bedeuten, sondern nur ein Abschmelzen der bisher hohen deutschen Exportüberschüsse. Die ganze Weltwirtschaft würde gewissermaßen von der Konjunkturlokomotive „DDR-Anschluß an die Weltwirtschaft“ profitieren.
Wird es Ihrer Meinung nach eine Konsumwelle geben?
Ja. Die Gelehrten streiten darüber, wie groß sie sein wird. Es wird beides geben, mehr Konsum und mehr Sparneigung. Was dabei herauskommt, ist für einen seriösen Ökonomen nicht vorhersagbar.
Welches wären denn die verträglichen Größen, bevor der Prozeß in ein Risiko umschlägt?
Die eigentliche Gefahr liegt am Arbeitsmarkt.
Also doch ein heißer Herbst?
Auch hier würde ich nicht zu Übertreibungen raten. Der eigentliche Risikofaktor ist ja nicht die D-Mark, sondern die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft. Die Zahl der Entlassungen hängt entscheidend davon ab, welche und wieviel Umstellungskredite die inzwischen auf die DDR losgelassene westdeutsche Kreditwirtschaft zubilligt. Wenn sich allerdings herausstellen sollte, daß die Kreditbereitschaft und die Joint-venture-Beteiligungen soweit sie bisher in Rede standen - Windeier sind und so schnell gar nicht realisiert werden können, dann könnte vielleicht nicht der Herbst, aber doch der Winter ungemütlich warm werden können.
Wenn vorgestern der DDR-Ministerpräsident und der Bundeskanzler die Wirtschaft erneut nach Bonn gebeten und zu Investitionen aufgefordert haben, spricht das doch dafür, daß die Bereitschaft längst nicht groß genug ist und der Winter entsprechend ungemütlich werden könnte.
Das ist offenkundig der Fall, aber man muß hier fair bleiben und sagen: Die DDR hat nicht das notwendige Entgegenkommen gegenüber ausländischem und bundesrepublikanischem Kapital gezeigt.
Was wäre denn das notwendige Soll gewesen?
Eine absolute rechtliche Gleichstellung zwischen In- und Auslandsinvestoren, wie sie für uns selbstverständlich ist. Unsere Maßstäbe in der BRD sind schlichter als die der DDR. Der DDR sollte es also gleichgültig sein, wer bei ihr investiert, ob einer aus der BRD oder aus Japan. Die DDR muß ein Investitionsrecht für alle schaffen, und davon ist sie leider noch weit entfernt.
Die Volkskammer hat immerhin die geplante elfprozentige Importabgabe abgelehnt.
Das wäre nur eine Prämierung des alten Schlendrians gewesen und hätte den Betrieben nur eine unnötige Verschnaufpause gebracht. Viele DDR-Manager geben nämlich offen zu, daß der alte Schlendrian weitergeht, wenn kein Druck auf sie ausgeübt wird. Außerdem werden solche Zölle immer von der Bevölkerung bezahlt.
Sollte man einem Land im Umbruch nicht doch eine Übergangsphase mit gewissen Schonregularien zugestehen?
Ich bin da sehr rigoros. Wer es mit seiner Bevölkerung gut meint, sorgt dafür, daß sie preiswerte Güter bekommt und sichere Arbeitsplätze und unterläßt alles, was investitionsbereites Kapital abschrecken könnte. Die DDR lebt hier in völlig falschen, noch von der SED genährten nationalistischen Vorstellungen. Als ob es ein heiliges Gut DDR gäbe, das nur für DDR-Bürger reserviert sein soll! In der europäischen Integration hat solch ein Denken keinen Platz.
Es gibt Analogien zur Währungsreform von 1948. Gibt es auch Unterschiede?
Ich sehe mehr Analogien als Unterschiede. Eine Marktwirtschaft kann ohne stabiles Geld nicht funktionieren. Die Ablösung einer Verwaltungswirtschaft durch eine Marktwirtschaft verlangt ein neues Geldwesen. Und die Erwartung einer neuen Geldwirtschaft löst nunmal kurzfristig Enthaltungs- und Versorgungsprobleme aus.
Im Augenblick haben die DDR-Bürger vor allem Nachteile von der Währungsunion, höhere Preise und relativ niedrige Löhne. Gibt es auch Vorteile?
Der Hauptvorteil liegt in einem Gut, das vor der Bilanz steht und nicht in der Bilanz. Mit der Einführung der D -Mark endet das „monetäre Gefängnis“. Kein DDR-Bürger konnte früher das Land verlassen, ohne gleichzeitig auch sein Geld zu verlieren. Ich glaube, daß dieser Vorteil viele kurzfristige Nachteile aufwiegt. Ich bin sogar dafür, das Menschenrecht einer konvertiblen Währung in einer künftigen gesamtdeutschen Verfassung festzuschreiben. Hätte es das im Dritten Reich gegeben, viele Juden hätten Hitler-Deutschland verlassen können. In diesem Punkt liegt für mich auch die Lebenslüge der SED und auch des Herrn Gysi, die so stolz sind auf ihre antifaschistische Tradition: Mit dieser Geldpolitik haben sie den Sozialfaschismus fortgesetzt.
Wer wird denn die politische Verantwortung für eventuelle schwerwiegende Folgen dieser Währungsunion tragen?
Hier liegt das entscheidende Mißverständnis vieler bundesdeutscher Politiker, Herrn Lafontaine eingeschlossen, aber auch vieler DDR-Politiker. Alle Welt scheint zu glauben, daß die monetäre Vereinigung der beiden Deutschlands die Vorbedingung für die politische Vereinigung sei. Welch grandioser Kurzschluß! Wenn wir in Europa Geld für alle Europäer kriegen, werden wir ja auch nicht England, Frankreich oder Italien von der Landkarte tilgen. Ich bin dezidiert der Meinung, daß nach der Einführung der D-Mark in der DDR die DDR jederzeit Anspruch hat, die notwendigen, nachholenden Reformen in eigener Regie und Verantwortung zu machen, damit dort nicht das ungute Gefühl entsteht, man sei von der Bundesrepublik vereinnahmt worden, damit aber dort auch klar bleibt, wer letztlich die Verantwortung für diesen monetären Anschluß hat. Das war ein Mehrheitswunsch der DDR-Bevölkerung, wie wir am 18.März gesehen haben. In meinen Dresdener Vorlesungen habe ich leider den unerfreulichen Eindruck gewonnen, daß man dort zwar geneigt ist, die Vorteile dieser monetären Vereinigung entgegenzunehmen, die vermeintlichen Nachteile aber dem BRD-Konto anzulasten. Im Interesse der sauberen politischen Verantwortung sollte man festhalten, daß die Probleme der DDR nichts mit Geld zu tun haben, sondern mit den Folgen sozialistischer Mißwirtschaft. Und kein Recht ist zu haben, auch nicht das monetäre Grundrecht, ohne die damit verbundenen Kosten und Konsequenzen.
Interview: Anna Jonas
Professor Wilhelm Hankel lehrt Währungs- und Entwicklungspolitik in Frankfurt/Main und berät im Auftrag der EG die jordanische Regierung in Wirtschaftsfragen. Er hat derzeit eine Gastprofessur an der TU Dresden. Kürzlich erschien sein Buch Eine Mark für Deutschland.
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