Am Anfang war der Mord, und der Mord ward Geld

■ Der Publizist Horst Kurnitzky, Autor von „Triebstruktur des Geldes“, spannt den Bogen vom sexuellen Symbolgehalt des Geldes in der Antike bis zur Währungsunion

taz: Ihr Buch „Triebstruktur des Geldes“ ist Ende der siebziger Jahre ein Kultbuch gewesen, und es geht ja auch um Kult, um die Entstehung des Geldes aus dem Opferkult. Sie sagen in Ihrem Buch, in den archaischen Gesellschaften sei das Geld aus unterdrückter weiblicher Sexualität entstanden. Die Kaurimuscheln beispielsweise, die dort als Zahlungsmittel zirkulierten, erinnerten nicht zufällig an das weibliche Sexualorgan. Warum?

Horst Kurnitzky: Die heutige Diskussion um den Abtreibungsparagraphen weist ja darauf hin, daß Sexualität, die sich nicht um Vermehrung und Produktivität kümmert, gesellschaftlich nicht gewollt und nicht gewünscht ist Homosexualität fällt da auch darunter. Das ist eine uralte Tradition, angefangen von Agrargesellschaften, in der Opfer für die ökonomische Reproduktion gefordert werden. Freud hat den Ursprung aller Kultur auf die Tötung und Verspeisung des Urvaters durch dessen Söhne zurückgeführt, also die Einverleibung des Über-Ichs, das den Inzest mit der Mutter verbietet. Das sind ja, wie Freud selber sagt, wissenschaftliche Märchen. Dem Urvätermord ging aber ganz sicher der Urmüttermord voraus, wie viele historische Dokumente beweisen. Die Urmütter werden später im Opferritual durch Schweine und Kühe ersetzt. Die ersten griechischen Tempel, wo Geld hergestellt wurde, waren immer Tempel von Muttergöttinnen, und der Opferkult war letztlich eine ökonomische Veranstaltung. Der Tempel als erstes Geldinstitut. Die Menschen kamen mit Rinderherden zum Tempel - das Wort Kapital geht darauf zurück, daß die Rinder nach Köpfen (lateinisch: capita) gezählt wurden - und die Priester tauschten die Rinder gegen Bratspieße, „obolos“, ein. Sechs dieser Bratspieße ergaben eine Drachme - das ist also eine ganz frühe Art von Währung. Dieser frühe ökonomische Austausch ist aber gleichzeitig auch stets damit verbunden, aus dem Opfern herauszukommen. Es ist kein Zufall, daß Hermes der Gott der Diebe und der Kaufleute ist. Im Mythos hat Hermes dem Apollo Rinderherden gestohlen und sie gegen Kulturprodukte eingetauscht, zum Beispiel gegen die berühmte Leier und den Hirtenstab, der den Papst bis heute begleitet. Diebstahl hat zur Grundlage, daß man an eine Sache kommen will, ohne Opfer zu bringen. Und auch heute funktionieren viele Wirtschaftsunternehmen in beide Richtungen: kaufen und stehlen.

Die DDR heute, mit den Augen von Ethnologen betrachtet, ergäbe also eine Ansammlung von Tempeln, vor denen die Leute mit ihren Viehherden stehen...

Ja. Aber mir fällt auch noch anderes dazu ein: Das Geld leistet eine wichtige Hilfestellung bei Verdrängungen. Die kollektive Faszination durch die D-Mark ist solch ein Verdrängungsmittel. Mit dem Wechsel von einer Währung auf die andere wird der DDR-Bevölkerung geholfen, alle Erinnerungen abzustreifen und sich in die DM-Konsumwelt zu stürzen. Aber die Gesellschaft der BRD wird gleichzeitig ebenso davon entlastet, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Also Geld als altes Opfersymbol dafür, daß man realer Opfer von Stalinismus oder Nationalsozialismus nicht mehr gedenken muß?

Ja. Die archaischen Menschenopfer sind durch Viehopfer ersetzt worden und die Viehopfer durch Geldmünzen - immer ist ein Opfer durch ein anderes ersetzt worden und immer mit dem Hintergedanken, sich in Zukunft das Opfern vielleicht ersparen zu können. Damit hat sich auch die ökonomische Produktivität immer weiter von Ersatz zu Ersatz entwickelt, auch die Waren sind nur Stellvertreter von Lustobjekten.

Auf der anderen Seite haben die DDR-Bürger sicherlich ein grundlegendes Bedürfnis nach Austausch und Auflösung hierarchischer Verwaltungsstrukturen und haben sich deshalb für die Marktwirtschaft entschieden. Historisch gesehen hat der Markt ja eine große Funktion. Im antiken Griechenland war der Marktplatz gleichzeitig der Platz für Schulen, für Demokratie, für den Austausch von Meinungen. Die großen Industriegesellschaften hingegen bestehen seit über zwanzig Jahren zu über 50 Prozent aus Angestellten, die keinen Bezug mehr zur Produktion haben und damit auch keinen objekthaften Bezug mehr zum Konsum. Das stellt sich dar in der Verwandlung des Marktes von Objekten in einen Markt von Ereignissen, die als Waren verkauft werden - vom Videoclip bis zu Disneyland, vom Urlaubsparadies bis zu den Adventure clubs. Das hängt zusammen mit der Zirkulationsgeschwindigkeit des Kapitals: Die Investitionen sind so hoch, daß man versuchen muß, das Kapital so schnell wie möglich umzusetzen, in Eintrittskarten beispielsweise. Diese Konsumveranstaltungen ermöglichen aber auch eine kollektive Flucht vor der eigenen Geschichte und eine kollektive Regression. In allen Industrienationen ist die Infantilisierung der Gesellschaft sehr augenfällig. Die Mentalität von Büroarbeitern ist teilweise die von Zwölfjährigen, die gegenwärtige Faszination durch androgyne oder geschlechtslose Wesen entspricht dieser Infantilisierung. Aber auch die Nazis haben schon versucht, eine relativ entwickelte Industriegesellschaft in eine Stammesgesellschaft zurückzuverwandeln, mit ihren tagtäglichen Veranstaltungen und Ritualen auf Camps, die bewußt außerhalb der Stadt angelegt waren. Die Stadt, da waren immer die Fremden und die Händler, die dann auch in ökonomischen Krisenzeiten Aggressionsobjekte wurden, wenn die Versorgung mit bestimmten Konsumartikeln nicht mehr funktionierte. Die Aggression richtete sich dann auf die scheinbar Schuldigen im Distributionsprozeß und nicht etwa auf die Produktionsverhältnisse, die die Krise verursacht haben.

Wenn die Angestelltengesellschaft hier eine infantilisierte Gesellschaft ist, dann gilt das doch erst recht für die staatssozialistischen Gesellschaften...

Keine Frage. Deren Ideologen haben Sozialismus immer nur als Verteilungsproblem gesehen und nicht als Problem der individuellen Freiheit. Im DDR-Fernsehen konnte man jahrelang diese ganzen Filmchen sehen, wo ein Kommunist irgendwo an einem Radio sitzt und auf die Anweisung aus Moskau wartet. Das waren die geführten Kinder.

Wird die Angestelltenmentalität im zukünftigen Deutschland also alles mit einer dickflüssigen Schicht überziehen?

Wahrscheinlich werden die großen Industrien alle Betriebe kassieren, und die Leute werden halt Industrieangestellte statt wie früher Staatsangestellte. In den Ritzen der Gesellschaft werden sicherlich wie hier auch kleine Zulieferfirmen bestehen. Aber die Beteiligung der einzelnen am ökonomischen und politischen Geschehen wird wohl ziemlich gering bleiben. Daß es wenig Unternehmerpersönlichkeiten in der DDR gibt, kann man auch daran ablesen, daß kein einziger der DM-Geldtransporter überfallen worden ist. Die erste Unternehmeraktivität wäre ja solch ein Raub - wenn man dem Gott Hermes folgt.

Interview: Ute Scheub