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König und Machiavell

■ Die Parteitagsbeschlüsse der Sozialdemokraten

KOMMENTAR

Der SPD-Parteitag vom Wochenende hat eines gezeigt: der Wahlkampf für Gesamtberliner Wahlen ist angelaufen. Die Kritiker der Doppelfunktion von Momper, die glauben, daß vor dem Vereinigungsparteitag eine Personaldebatte losgetreten und Momper abgelöst wird, lügen sich in die Tasche. Die Wahl mit einem Spitzenkandidaten Momper wäre verloren, demontierte man ihn wenige Wochen vor dem Wahltag vom Parteivorsitz. Die links angesiedelten Kritiker Mompers haben auf dem Parteitag in gewohnter Parteidisziplin ihrer eigenen Niederlage zugestimmt.

Die rot-grüne Regierung, die eine neue politische Kultur entwickeln wollte, ähnelt mehr und mehr einem absolutistischen Geheimkabinett: An der Spitze der König mit den Insignien der Glatze und des roten Schals, immer unterstützt durch seinen Machiavell Nagel. Für Geheimdiplomatie im Sinne Richelieus ist der Chef der Senatskanzlei zuständig, alle drei bestens beraten durch den Senatssprecher. Daneben gibt es ein paar Vasallen und - ganz modern - auch Vasallinnen: die bequemen, deren Fürstentümer weitab liegen, und die unbequemen, denen man notfalls mit Entmachtung droht, sollten sie auf ihren mit Brief und Siegel festgeschriebenen Rechten pochen. Dem König und seinem Machiavell ist auf dem Parteitag ein glatter Durchmarsch gelungen - nicht aus politischen, sondern aus taktischen Gründen. Im Streit mit der AL wird von seiten der SPD-Führungsriege nur noch taktisch argumentiert, und der Blick auf die kommende Wahl genügt, um das murrende Fußvolk zu zähmen.

Die SPD hat eine erste Wahlaussage getroffen. Mehr als ein pures Lippenbekenntnis ist sie nach den Beschlüssen nicht. Meinte man es ernst mit dem vielgerühmten ökologischen und sozialen Reformprojekt, mit dem man dann erneut antreten will, müßte man es endlich vorantreiben. Das Gegenteil ist der Fall: Der Handlungsspielraum des kleineren Koalitionspartners wird durch die Parteitagsbeschlüsse völlig unnötigerweise noch weiter eingeengt. Auf der morgigen Senatssitzung droht die Etikette des rot-grünen Königshofes durcheinanderzugeraten: Laut Geschäftsordnung müßte Schreyer als offizielle Vertreterin des kranken Finanzsenators den Kaufvertrag mit Daimler unterzeichnen. Auswege: Momper erklärt die Ratifizierung zur Königsache oder Schreyer ihren Rücktritt.

Kordula Doerfler

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