piwik no script img

Kündigung - Kehrseite der Arbeitsvertragsfreiheit

■ Der Rote Faden durch die importierte Sozialordnung zeigt heute wann und wie ein Arbeitgeber kündigen kann und wie man sich dagegen wehrt / Nicht all zu große Hoffnungen auf das Kündigungsschutzgesetz setzen

S E R I E DER ROTE FADEN/TEIL 4

Von Edgar Peter

ArbeitnehmerInnen in der DDR wird das Arbeitsrecht der Marktwirtschaft häufig erstmals in Gestalt der Kündigung begegnen. Denn das Recht zur Kündigung ist die Kehrseite der Arbeitsvertragsfreiheit, die für Marktwirtschaften grundlegend ist, um das in der Bundesrepublik geltende Kündigungsrecht schnell bekanntzumachen, sehen wir vorerst von dem Regierungsentwurf zur Änderung der §§ 47 bis 68 Arbeitsgesetzbuch (vgl. Volkskammer-Drucksache vom 6. Juni 1990) ab. Große Hoffungen sind auf den Kündigungsschutz gerichtet. Doch man sollte darüber die Realität des Kündigungsschutzes in der Bundesrepublik nicht aus den Augen verlieren. Der Großteil aller arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten bezieht sich auf Kündigungen und wird erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt.

Nur ein verschwindend geringer Anteil aller Kündigungen führt zur Wiedereinstellung der gekündigten Person aufgrund eines Kündigungsschutz-Urteils. In der Praxis ist das Kündigungsschutzgesetz ein Gesetz, das zu Unrecht gekündigten ArbeitnehmerInnen lediglich eine Abfindung wegen Verlusts des Arbeitsplatzes verschafft. Trotzdem bietet es oft die einzige Handhabe, Kündigungen entgegenzutreten und Arbeitgebern überhaupt eine Begründungspflicht bei so einschneidenden personellen Maßnahmen aufzuerlegen. Der Bereich wird in diesem und den nächsten Artikeln des „Roten Fadens“ dargestellt.

Die Kündigung

1. Form. Häufig wird vor den Arbeitsgerichten der BRD darüber gestritten, ob überhaupt eine Kündigung ausgesprochen wurde. Das liegt daran, daß grundsätzlich auch mündlich gekündigt werden kann. Nach Ansicht der Gerichte muß weder das Wort Kündigung ausdrücklich erwähnt noch müssen Gründe benannt werden. Dagegen verlangt das Arbeitsgesetzbuch der DDR (§ 54 Abs. 4 AGB) die Schriftform. Der Staatsvertrag sagt hierzu nichts, so daß es auf die Entscheidung der Volkskammer ankommt, welches Übergangsrecht gilt. Ratsam ist, auch mündlich ausgesprochene Kündigungen ernstzunehmen. Das betrifft vor allem die Einhaltung der Klagefrist von drei Wochen.

2. Aufhebungsvertrag. Ein weiterer typischer Streitpunkt vor westdeutschen Arbeitsgerichten ist, ob ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde; denn auch dieser ist grundsätzlich mündlich wirksam. Unternehmer bevorzugen bei Entlassungen Aufhebungsverträge, weil dabei der/die Beschäftigte in die Beendigung einwilligt und daher keinen Kündigungsschutz mehr geltend machen kann. Auch die Anhörung des Betriebsrates entfällt. Häufig werden Beschäftigte in „persönlichen Gesprächen“ überredet bzw. mit geringen Abfindungssummen „überzeugt“. Schon ein mündliches Wort der Zustimmung kann ausreichen, wenn der Arbeitgeber Zeugen hat. Erfahrungsgemäß haben Unternehmer immer Zeugen. Wichtig daher: Bedenkzeit fordern und Rechtsrat einholen.

3. Kündigungsfristen. Für die fristgemäße/„ordentliche“ Kündigung gelten nach westdeutschem Recht unterschiedliche Fristen; denn Kündigungsfristen sind in Gesetzen, Tarifverträgen und Einzelarbeitsverträgen verschieden geregelt. Prinzipiell gilt das „Günstigkeitsprinzip“: In Tarifverträgen können längere Fristen als im Gesetz, im Einzelarbeitsvertrag längere als die tariflichen oder gesetzlichen vereinbart werden. Das Gesetz läßt aber teilweise auch zu, daß durch Tarifvertrag die gesetzlichen Fristen abgekürzt werden.

In der Bundesrepublik beträgt die Mindestfrist für Angestellte sechs Wochen zum Schluß eines Kalendervierteljahres und für ArbeiterInnen zwei Wochen ohne besonderen Endtermin. Die gesetzlichen Fristen verlängern sich mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses, soweit ein Mindestalter überschritten wird (siehe § 622 BGB § 2 Angestellten-Kündigungsgesetz). § 55 AGB der DDR sieht eine Mindestkündigungsfrist von zwei Wochen und die Möglichkeit vor, Fristen bis zu drei Monaten zu vereinbaren. Laut Staatsvertrag kann es vorerst bei dieser Regelung bleiben; denn im gemeinsamen Protokoll über Leitsätze wird lediglich bestimmt (B.IV.4:), daß für den Fall einer Änderung durch die Volkskammer die gesetzlichen Mindestfristen des BRD -Rechts nicht überschritten werden dürfen.

4. Fristlose Kündigung. Ohne Einhaltung einer Frist kann „außerordentlich“ gekündigt werden. Während sich die Zulässigkeit einer fristgemäßen Kündigung aus dem Kündigungsschutzgesetz -KSchG - vergibt, gilt für die fristlose Kündigung § 626 BGB, dem laut Staatsvertrag das Recht der DDR anzupassen ist. Danach darf nur aus „wichtigem Grund“ fristlos gekündigt werden - das heißt, wenn dem Kündigenden die Einhaltung einer Frist nicht zugemutet werden kann. Diese unbestimmte Forumulierung hat zu einer sehr uneinheitlichen Bewertung der Einzelfälle durch die Gerichte geführt.

Gerichtliche Bestätigung hat die fristlose Kündigung zumeist dann gefunden, wenn ein schwerwiegendes Fehlverhalten der/des Beschäftigten zugrunde lag und eine Abmahnung erfolgt ist - zum Beispiel: fortgesetzter schwerer Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten oder Straftaten im Betrieb. Dagegen ist ein Konkurs oder die Schließung des Betriebes im allgemeinen kein Grund zur fristlosen Kündigung. Schon wegen der Uneineitlichkeit der Rechtsprechung ist es fast immer ratsam, sich gegen fristlose Kündigungen zur Wehr zu setzen - und sei es nur, um die Einhaltung einer Frist einzuklagen. Vor allem muß der Arbeitgeber das Fehlverhalten beweisen. Auch wenn ihm das gelingt, so kann oft entgegengehalten werden, daß eine Abmahnung ausgereicht hätte oder jedenfalls die Einhaltung der Frist zumutbar war. Zugunsten des/der Gekündigten zu berücksichtigen ist zum Beispiel, wenn das gleiche Verhalten bisher im Betrieb geduldet wurde.

Wird eine fristlose Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Bekanntwerden des auslösenden Vorfalls ausgesprochen, ist sie schon deswegen unwirksam; ebenso wenn der Arbeitgeber einen bestehenden Betriebsrat nicht oder fehlerhaft angehört hat.

Die Serie wird mit dem Thema „Kündigungsschutz“ fortgesetzt.

Der Autor ist ein an der Universität Bremen mit Schwerpunkt Arbeitsrecht ausgebildete Volljurist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen