In Zossen läuft es nicht

■ 30 Kilometer südlich von Berlin läßt man sich Zeit mit der neuen Zeit / Konsumgenossenschaft klagt über schleppende Versorgung mit Westwaren / Gummibärchen und Pfirsiche immer noch Mangelware / Viele LPGs stehen vor der Auflösung

Zossen. Die 60jährige Frau wundert es nicht, daß die Warteschlange in der Zossener Filiale der Deutschen Bank/ Kreditbank nur zwei Meter lang ist. „Die Zossener sind Ackerbürger“, sagt sie, „sparsame Leute, die warten erst mal ab, was kommt.“ Niemand wisse ja, so fügt sie hinzu, was mit den Preisen und Mieten in Zukunft geschehe. „Der Ansturm ist ausgeblieben“, pflichtet ihr der Filialleiter Gerhard Gribkowsky zu. Gribkowsky ist vor kurzer Zeit aus Stuttgart in die märkische Kleinstadt gekomen, die 30 Kilometer südlich von Berlin an der F96 liegt. Am letzten Sonntag, so erzählt er, habe die Filiale vier Kassen offen gehalten, doch umsonst. Schon am Nachmittag habe man wieder zwei geschlossen. Von den rund 700 Kunden, so ergänzt er, hätte keiner mehr als 2.000 DM mit nach Hause genommen.

Auch am zweiten Tag der DM in der DDR brechen in Zossen weder Marktwirtschaftseuphorie noch Kaufrausch aus. Auf dem langgestreckten, von ein- bis zweistöckigen Häusern eingefaßten Marktplatz herrscht zwar reges Treiben, doch viele Geschäfte und Lokale haben „wegen Inventur“ geschlossen oder präsentieren in den Auslagen nur gewohnte Ware. Neuheiten sind nur selten zu finden, wie Kaffeefilter oder bunte Leitz-Ordner im Schaufenster eines Schreibwarengeschäftes.

Nebenan packt Blumenhändler Paul Suchland frische Ware aus, die er vom Blumengroßmarkt an der Kreuzberger Friedrichstraße geholt hat. Suchland hat dort zum erstenmal eingekauft, für Rosen hat er - je nach Länge - 30 bis 70 Pfennig gezahlt, in der vergangenen Woche kostete vergleichbare Ware 1,20 Ostmark. Am nächsten Tag will er zum Ostberliner Blumengroßmarkt fahren, um die neuen Preise zu vergleichen. Noch bis zum April war dem Blumenhändler vorgeschrieben, von welchem Erzeuger er abzunehmen hatte.

Während sich die Privaten schnell auf die DM und freie Preise eingestellt haben, hapert's bei den großen Anbietern noch immer. Wolfgang Munsch, örtlicher „Konsum„ -Kaufhallenleiter, sitzt in seinem Büro und wartet verzweifelt auf Ware. Zwar sei seine Kaufhalle am Ende der vergangenen Woche nicht wie viele andere leergekauft gewesen, doch am ersten Verkaufstag der Marktwirtschaft mangele es immer noch an Qualitätsprodukten wie Pralinen, Bonbons oder Schokolade.

Munschs Chef, der Vorstandsvorsitzende der Konsumgenossenschaft im Kreis Zossen Günther Pohlmeyer, stimmt zu: „Wir haben im Westen bestellt, aber die Ware kommt nicht zu uns. Bei der Reichsbahn herrscht beispielsweise ein totales Chaos.“ Obwohl die Westwaren von den Lebensmittelregalen nur mit einem Anteil von einem Drittel stehen sollen, ist Pohlmeyer mit dem heutigen Angebot noch längst nicht zufrieden: „Westwaren bringen Stimmung, ein 'Bild‘ in den Laden“, meint der Zossener „Konsum„-Chef im Hinblick auf Immer-noch-Mangelware wie Pfirsiche, Gummibärchen und lila Schokoriegel. Die Preisgestaltung, so fügt Pohlmeyer hinzu, sei für den Handel immer noch das größte Problem. „Früher hatten wir eine Zuckermarke zu einem festen Preis, jetzt kommen 20 Anbieter mit unterschiedlichen Preisen. Und wir haben noch nicht einmal eine Kalkulationsabteilung.“

Die Konsumenten auf der Straße vor der Kaufhalle reden weniger über das klassische DDR-Thema „Mangelwaren“ als über die neuen Preise. Die haben sich durchgängig kräftig erhöht. So kostet ein Kilo Mischbrot statt bisher 62 Pfennig 2,14 DM, ein Toastbrot statt einer Mark 2,26 DM. Noch gravierender ist vielleicht, daß Westprodukte teurer angeboten werden als im Westen. Viele ziehen jetzt die Konsequenzen: „Wir werden einmal die Woche nach West-Berlin einkaufen gehen“, kündigt eine 32jährige Gemeindeschwester an.

Doch in Zossen macht man sich nicht ganz soviel Zukunftssorgen, da die Kreisstadt an dem Flüßchen Notte gut an die Großstadt Berlin angeschlossen ist. Wie in vielen DDR -Städten sei jetzt der Wohnungsbau „das A und O“, meint die resolute Ratsdezernentin für Kultur, Tourismus und Kommunale Entwicklung, Ute Marten. Den zahlreichen Wohnungssuchenden habe die frühere Einheitspartei ständig Neubauwohnungen versprochen, doch nichts sei geschehen. Das zweite große Problem, die Arbeisplätze, wird in vollen Umfang erst in einigen Monaten abzusehen sein. Viele LPGs des Kreises werden aufgebrochen, und das einzig wirkliche Großunternehmen, die IFA-Automobilwerke, wird sicherlich viele Arbeitnehmer „freisetzen“.

Christian Böhmer