: 30 Jahre Agonie
■ Monolog über den langen Abschied von der KPdSU
Sina, 38 Jahre, seit 21 Jahren in der KPdSU, alleinerziehende Mutter dreier Kinder, ist Lehrerin. In einem Gespräch mit der taz erläutert sie, warum sie sich jetzt, wenn auch unter großen Schmerzen, von der KPdSU verabschieden will.
Mein Vater war Politinstrukteur bei der Armee. Er hat immer geglaubt, daß ein Kommunist auch nur den Anschein vermeiden muß, sich persönlich irgendwelche Vorteile zuzuschustern. In Vaters Kompanie war ein Offizier, der den ganzen Krieg in der Etappe zugebracht hatte und mit dem Vater heftig aneinandergeriet, weil er die Soldaten ungerecht behandelte. Als er sich beschwerte, sagte der Kommandeur: „Ich werde dich wegen Fraternisierung mit den Gemeinen entlassen. „Ich gehe von selbst“, antwortete mein Vater, „der Krieg ist sowieso vorbei.“
Nach diesem ersten Schock gab ihm dann der 20. Parteitag 1956, mit Chruschtschows Enthüllungen über Stalin, den Rest. Er war völlig gebrochen, hatte er doch Leute im Namen Stalins in den Tod geschickt. Er sagte: „Ich kann nicht mehr. Wenn Stalin wirklich so ein beschränkter Hund war, dann bin ich, nach allem, was ich den Leuten erzählt habe, ein fieser Kerl.“ Vater trank, wegen Stalin oder diesem und jenem, aber meine Mutter sagte: „Gott ist hoch, der Zar fern, und im Himmelreich werden sie mit Stalin schon fertig. Wir müssen arbeiten, dann kann uns im Grunde nichts passieren.“ Als ich mit der Schule fertig war, hatte Vater sich zu Tode gesoffen.
Mit 17 war es für mich trotzdem selbstverständlich, in die Partei einzutreten. Selbst meine Mutter ging mit 40 Jahren noch in die Partei, weil man ihr in der Gewerkschaft dazu riet. Als junge Frau war ich dem Staat auch dankbar: für meine Ausbildung beispielsweise oder daß wir ins Krankenhaus gehen konnten, ohne einen Pfennig dafür zu bezahlen. Heute glaube ich nicht mehr, daß es in der Führung der Partei überhaupt ehrliche Leute geben kann. Ich habe in verschiedenen Universitäten und Ministerien gearbeitet und gesehen, wie die Chefs sich dort illegal bereicherten. Wer dann noch ein Supergehalt und eine ganze Wohnetage für sich alleine bekommt, sollte nicht mehr von sich sagen, er sei Kommunist. Ich muß mich jetzt schämen, wenn die Leute mich fragen, warum ich in der Partei bin. Wenn es in dieser Partei noch ehrliche Leute gäbe, müßten sie als erstes dafür sorgen, daß die Gewinne in der Gesellschaft völlig neu verteilt werden. Aber da wird auch der jetzige Parteitag keine Entscheidung bringen. Warum ich nicht sofort austrete? Ich habe Angst. Immerhin bin ich allein mit drei Kindern.
Aufgenommen von B. Kerneck
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