: „... sind, wie sagt man, happy“
■ DM-befreit aus Charterzwang und Konsum-Untertänigkeit: Der unberechenbare Ost-Mensch kuckt, wählt und kauft später / Ein Bericht aus Rostock
Am Sonntag, dem 1. Juli war vor der Sparkasse in Rostocks Südstadt ein kleine Schlange gewesen. Da waren sie in die Post daneben gegangen, wo sie sofort drankamen. Sie und Er hatten zusammen 1.000 DM abgehoben, waren damit nach Warnemünde gefahren und hatten auf der Strandpromenade ein Eis gegessen, dort, wo es von Schöllerbzw. von Warncke war. Am Montag war den ganzen Tag in den Betrieben, in denen sie arbeiteten, eine besondere Stimmung, wie Feiertag. Da hatten sie nach der Arbeit die gute weiße Bluse und das makellose weiße Hemd angezogen, waren zur Kröpeliner Straße gefahren, und hatten gekuckt, nur gekuckt. Und ? „Na, es ist ja noch nicht wie drüben. Das kann ja auch nicht so schnell. Aber es wird schon.“ Und nun saßen sie hier Bistro „La Mer“, am 1. Juli eröffnet, wo grad noch ein Shop, ein Intershop gewesen war. Den Anfang der noch fast vollständigen 1.000 D-Mark hatten sie in einem Glas Wein (sie) und einem Radeberger Export (er) angelegt. „Wir sind, wie sagt man,“ probierte sie vorsichtig das neue Wort, „happy“.
Da saß er, der Ostmensch, in seiner Unberechenbarkeit, der
Schlange ausgewichen, vom erwarteten Kaufrausch keine Spur, und war, wie sagt man happy. Den Trabant hatten sie drei Wochen vor der D-Mark verkauft. Der Kauf des gebrauchten Westwagens hatte Zeit. Es war ja nicht mehr so wie früher, wo man sofort zugreifen mußte, wenn eine Mangelware auftauchte und soviel wie möglich chartern. Noch mit dem ersten je erreichbaren Westgeld hatten sie Apfelsinen kartonweise gechartert, „und dann mußte man das alles essen.“
Kein Chartern mehr ab sofort. Das war die Devise vieler, die da mit ihren DM in der Tasche nur erst mal kucken gingen. Die da mit bis zum Ende ziemlich leeren Einkaufskörben durchs Kaufhaus Centrum wanderten, „Die D -Mark gibt sich schwer aus,“ wußte mein Gastgeber, Herr G. Diese Ersten des Juli hatten etwas mindestens so Festtägliches wie der 18. März, der Tag der politisch freien Wahl. Es lag etwas sehr DDR-Untypisches über der wimpelgeschmückten und von früh bis lange nach Ladenschluß belaufenen Kröpeliner Straße: Heiterkeit. Gewiß, Herr G. hat seinen letzten DDR-5-Mark-Schein verbrannt am Sonnabend abend, als andere auf der Mole in
Warnemünde die Sektkorken knallen ließen. Es gibt die G.s, die es graust, wenn so blitzschnell neue Fensterrähmen und Türen eingesetzt werden und aus blitzweißer Wand buntgelackte West „Büro- und Papierwaren“ erstrahlen. Aber die Gesichter der vielen, die das Straßenbild bestimmten, sprachen eine andere Sprache: Durch alle mecklenburger Gedecktheit und DDR-Routine grämlichkeit brach hier und da oh Wunder - Lächeln. Vor dem Fenster der Unibuchhandlund mit PC-XT-At-Lexikon, Edelpelztieren und Quantenmechanik eine Frau ungebremst: „Und die vielen Bücher, die es auf einmal gibt!“
Ein bißchen was von Bescherung. „Einmal werden wir noch wach, heissa dann ist DM-Tag“, titelte am Vortag die neu-und -gratis-Zeitung „Blitz am Sonntag“. Leere Regale, schlaflose, z.T., undenkbar! durchgearbeitete Nächte und jetzt Bescherung. Uhrmachermeister Paul G. Ihlenburg hat Citizen-Uhren liebevoll zwischen Seestern und Buddelschiff arrangiert. „Das ist der Laden, von dem Gesine erzählt hat,“ raunt eine in der Gemeinde, die anbetend vor dem WMF-Laden steht. In dem ist nichts weiter, als ein gediegenes Riesensortiment Bestecke, plus Preise.
Die Ersten des Juli, das waren Festtage der Freiheit, die aus dem
Westgeld und auch aus der mit ihm verbundenen Westwaren kommt. „Nicht mehr D-Mark zugesteckt bekommen.Selbst 'verdientes Geld'“ sagt die Frau im Bistro La Mer, „auch wenn es weniger ist als drüben, das ist: nicht mehr 2. Klasse sein.“ Heißt nicht mehr chartern müssen, sondern selber bestimmen, was und vor allem wann man kauft. Heißt: „Für uns ist ja alles viel billiger geworden. Wir mußten ja vorher das 3fache, am Ende das zweifache für Westwaren zahlen.“
Und es war das Fest des Einzugs der Westwaren. Die DDR -Ökonomie-besorgte Frage: Ja, und warum sowenig Ostwaren? habe ich mir bald verkniffen.
Konsum z.B. hatte Ostwaren. Schaufenstervoll ungelenk geschnittene, schlecht verarbeitete, hausbackene Ost -Textilien, früher horrend teuer, jetzt will sie auch für ein Spottgeld keineR. Zu recht. Vor der Ost-Waschmaschine -plus-Schleuder im Schaufenster, vor kurzem erstens nicht zu kriegen, zweitens mehrere Tausender teuer, ruft einer. „245 Mark, das kann ja wohl nicht wahr sein!“ Aber neben dem soliden West-Gerät sieht das Ding leichtblechern und vertrauensunwürdig aus.
Und noch eins wird gefeiert: Das Ende des ordnungspolizeilichen Modells der Kundenbehandlung. Im März habe ich noch staunend gesehen, wie in einem Rostocker Textil-Delikat-Laden die Kundinnen, mit Ketten von den Jacken und Hosen abgesperrt, einzeln vor die Obrigkeit treten , das mit Stilaugen ausgesuchte Objekt erbitten und unter den Augen der Verkäuferin und dem Murren der wartenden Schlange ein so teuer-wie-häßliches Teil erwerben mußten. Reste dieses Untertanen-Arrangements überleben, je mehr genuin DDR-gemanagt, wie HO oder Konsum, um so echter. Ein Exemplar dieser Gattung sah ich bei im neu eröffneten „Mark Daniels. For men“ empört einem Kunden die Jacke aus der Hand reißen: „Die können Sie noch nicht einfach vom Bügel reißen.“ Doch, er konnte und wird wie bekifft vor Glück über ein nach zwei Jahren endlich gefundenes Sakko, das seinen Bauch und rötlichen „Teint“ wiedergutmacht, den Laden verlassen. Das war am 2. Juli.
Uta Stolle
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