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In der Türkei kehrt das Schweigen ein

■ Mit Polizeistaatsmethoden wird der Pressefreiheit in der Türkei der Garaus gemacht / Die Regierung in Ankara verbot in der vergangenen Woche das kritische Wochenmagazin 'Ikibine Dogru‘

Von Ömer Erzeren

„Richtung 2000“ - 'Ikibine Dogru‘. Der Name des Wochenmagazins, erstmalig erschienen im Jahr 1986, verkündete Zukunftsoptimismus. Die linken Magazinmacher verhießen der Türkei eine glückliche Zukunft: Putschende Militärs, zu Tode gefolterte Menschen auf der politischen Polizei, Maschinengewehrsalven auf 1.-Mai-Demonstranten all dies sollte im Jahr 2000 der Vergangenheit angehören. Mit kritischem Journalismus wollten die Blattmacher ihren Beitrag für das Jahr 2000 leisten. Woche für Woche erschienen von dem herrschenden Regime unterdrückte Nachrichten, Enthüllungen über die Barbarei des politischen Alltags. Die Leser honorierten es. Binnen kürzester Zeit mauserte sich 'Ikibine Dogru‘ zu einem der auflagenstärksten Nachrichtenmagazine in der Türkei.

Der Todesstoß kam am Donnerstag vergangener Woche in Form einer offiziellen Verfügung. Ein Blatt Papier mit den Unterschriften von Polzeibeamten - Abteilung Presse der Polizei. „Es wird festgestellt, daß die Zeitschrift Nachrichten und Kommentare publiziert hat, die nicht der Realität entsprechen, die die öffentliche Ordnung in der Region ernsthaft gestört, die Bevölkerung aufgehetzt und die ordnungsgemäße Pflichterfüllung der Sicherheitskräfte behindert haben. Dem Konzessionsinhaber der Zeitschrift, Mehmet Sabuncu, wird hiermit mitgeteilt, daß der Druck, die Vervielfältigung, die Herausgabe und Verteilung der Zeitschrift unbefristet verboten ist.“

Die Leichengräber triumphieren: Die Generäle, der Premier, der Staatspräsident, der Innenminister. Sie hatten lauter Ausschnitte aus 'Ikibine Dogru‘ in ihren Taschen, als sie im April zusammenkamen, um dem kümmerlichen Rest von Pressefreiheit in der Türkei den Garaus zu machen. Eiligst wurden die Dekrete 413 und 424 verabschiedet, die dem Innenminister frei nach Belieben erlauben, ohne Gerichtsurteil Zeitungen und Zeitschriften zu verbieten und Druckereien zu schließen.

Die Herrschenden hatten stets ein erbärmliches Bild abgegeben, wenn die Zeitschrift ungeheuerliche Nachrichten und Dokumente enthüllte. Es ließ sich nichts dementieren, die Dokumente waren echt. Zum Beispiel der schriftliche Befehl des Generals Osman Citim: Der Befehl zum Todesschuß auf lebendig gefangengenommene „Terroristen“ in den kurdischen Gebieten. Ob staatlich angeordneter Mord sich mit den Gesetzen der türkischen Republik vereinbaren ließe, fragte die Zeitschrift nach.

Unablässig kratzte die linke, anti-fundamentalistische Zeitschrift die Tabuthemen an. Zu einer Zeit als das Aussprechen des Wortes „Kurde“ ein Verbrechen war, publizierte die Zeitschrift eine Rede des Nationalhelden und türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk aus dem Jahr 1923 kommentarlos, wo dieser regionale Selbstverwaltung für die Kurden forderte.

Fast jede zweite Ausgabe der Zeitschrift wurde an den Kiosken beschlagnahmt. Der Staatsanwalt beim Staatsicherheitsgericht Istanbul - zuständig für „Verbrechen gegen den Staat“ - eröffnete Dutzende von Prozessen gegen Redakteure und presserechtlich Verantwortliche. Haftstrafen von mehreren hundert Jahren wurden gefordert. Die Redakteure der Zeitschrift haben sich auf der Anklagebank des Staatssicherheitsgerichts so heimisch gefühlt wie in den Redaktionsräumen. Es war von großem Vorteil, daß das Staatssicherheitsgericht nur 200 Meter vom Sitz der Redaktion entfernt ist: Im alten Istanbuler Quartier „Babiali“ - dort, wo die osmanischen Sultane Oppositionelle henkten. Das Staatssicherheitsgericht tagt im ehemaligen osmanischen Leichenschauhaus.

Fast immer war es der Paragraph 142 des türkischen Strafgesetzbuches, der gegen die Journalisten zur Anwendung kam. „Wer in der Absicht die Nationalgefühle zu zerstören oder zu schwächen, Propaganda, gleichgültig in welcher Art und Weise treibt, wird mit Gefängnis von fünf bis zu zehn Jahren bestraft“, heißt es in jenem Gesetz, welches über das faschistische Strafrecht Mussolinis Eingang in die türkische Gesetzessammlung fand. Wahnsinnige Anklagen wurden konstruiert. Die Zeitschrift hatte auszugsweise stenographische Protolle von Sitzungen des Deutschen Bundestages - Bildungsminister Jürgen Möllemann hatte gesagt, daß in der Türkei Kurden leben - dokumentiert. Prompt kam die Beschlagnahmung und die Anklage.

Der Verschleiß von presserechtlich Verantwortlichen, die für jeden erschienenen Artikel strafrechtlich geradestehen müssen, hielt sich in Grenzen. Drei Köpfe mußten rollen. Der erste gehört Fatma Yazici. Die zierliche kleine Frau (1,50 Meter Größe, 41 Kilo) kämpfte wie eine olympische Superathletin gegen die politische Justiz. Die ehemalige Richterin am Oberverwaltungsgericht hielt sich als presserechtliche Verantwortliche am längsten. 40 Strafprozesse, Forderungen von über 100 Jahren Gefängnis. Ein Artikel über das Sexualleben Mohammeds - es handelte sich um eine kritische Koranexegese - wurde ihr besonders schwer angelastet. Einen Tag vor ihrer letztinstanzlichen Verurteilung zu 14 Jahren Gefängnis tauchte sie unter. Ihr Nachfolger Tunca Arslan kam mit nur 22 Strafprozessen davon. Der dritte Adnan Akfirat hat erst acht Strafprozesse am Hals. Ab und zu nimmt ihn die politische Polizei mit. Auch gegen den Chefredakteur Dogu Perincek ist Haftbefehl ausgestellt. Allein vergangenes Jahr wurden über 400 Journalisten angeklagt. Ganz zu schweigen von denen, die seit über einem Jahrzehnt im Gefängnis einsitzen. Zum Beispiel der 36jährige Veli Yilmaz, der aufgrund von Artikeln, die 1977 erschienen, zu 748 Jahren Gefängnis verurteilt ist. Journalisten tragen halt Berufsrisiko.

Doch der Triumph der Leichengräber ist verfrüht. Das unbändige Volk von Journalisten treibt es stets aufs neue. Wird eine Zeitschrift verboten, sprießt morgen eine neue Zeitschrift. Man nimmt es eben gelassen in Babiali.

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