: Postmoderne Propagandamasche
■ betr.: "Hauptstadt Berlin, klar ey!", Kommentar von Erich Rathfelder, taz vom 26.6.90
betr.: „Hauptstadt Berlin, klar ey!“, Kommentar von Erich Rathfelder, taz vom 26.6.90
Wenn eine Hauptstadt wie Bonn an der Peripherie eines Landes liegt, spricht man positiv von Dezentrale und Föderalismus und negativ von kleinbürgerlichem Provinzmief. Wenn eine Hauptstadt wie Berlin bereits Metropole ist, spricht man positiv von kultureller Vielfalt und Innovation und negativ von natur- und menschenfeindlichem Zentralismus.
Deutsch-Südwest hat eine alte antipreußische Tradition aus leidvollen Erfahrungen mit Militarismus und Zentralismus von 1848 bis heute. Insofern bin ich nicht unparteiisch, zugegeben. Dennoch meine ich, die Hauptstadtdiskussion sei eine reine postmoderne Propagandamasche nach dem alten Motto „Brot und Spiele“, um die ökonomische Standortkonkurrenz der europäischen Städte im Binnenmarkt mit Kultur und Gefühl oder Mythos zu verkleistern.
Was wir wirklich brauchen, ist weder eine neue noch eine alte Hauptstadt, sondern ein sozial und ökologisch orientiertes regionales Entwicklungskonzept für Europa, das die Metropolen dezentraler und damit demokratischer und die Provinz kulturell vielfältiger macht. Unter dem Gesichtspunkt direkter Demokratie stellen sich sowohl die Fragen der Kompetenzen als auch des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden völlig neu.
Das wäre eine spannende Diskussion, die Erfahrungen der Bürgerbewegungen in Osteuropa umsetzen könnte. (...)
Volker Galle, Alzey/BRD
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