: Auf die Plätze, fertig, los, bankrott
■ betr.: "DM-Day: Der Schein bestimmt das Bewußtsein
betr.: „DM-Day: Der Schein bestimmt das Bewußtsein“,
taz vom 30.6.90
Der „reale Sozialismus“ wurde nun endgültig besiegt. Der Wohlstand der DDR-BürgerInnen wird allerdings anders aussehen, als die Wahlversprechen (der Versprecher) des letzten Jahres. Schwangere werden entlassen, also kann folgerichtig die betriebliche Kinderbetreuung abgeschafft werden und die Frau landet wieder in der Küche. Gütigerweise wurde der § 218 bislang noch ausgeklammert. Das Recht auf Arbeit, Wohnung und Existenz wird gestrichen. Schließlich gehört jede ex-sozialistische Anschauung der Vergangenheit an. Damit dieses garantiert ist, werden BRD-Richter an die Stelle ihrer Ost-KollegInnen gesetzt und das „Arbeitsgebiet“ des BKA und des Verfassungsschutzes erweitert sich. Der alte Sicherheitsstaat wird nur durch einen neuen „humaneren“ ersetzt.
Jeder Mensch sieht sich bald gezwungen, seine Konkurrenten auszuschalten, nur der Stärkere wird sich behaupten, der Schwächere geht unter. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Die Massenarbeitslosigkeit wird den DDR-BürgerInnen zum ersten Mal beschert, die Verdreifachung vieler Preise folgt zugleich. Die Mieten sollen sich „kontrolliert“ erhöhen, von 63 Mark auf 147 Mark, dann auf 224 Mark und 378 Mark, bis sie endgültig der freien Marktwirtschaft übergeben werden. Wie „hervorragend“ dieses funktioniert, sieht man/frau deutlich bei uns. Nach dem neuen Aneignungsrecht kommen nun viele BRD-BürgerInnen (ca. eine Million) in den Besitz ihres alten Grundgutes. Wer braucht da noch Lotto spielen?
Auf das soziale und finanziele Fiasko wird der Nationalismus und Rassismus zunehmend stärker folgen. Die „Sündenböcke“ sind schon ausgemacht, die VietnamesInnen und MosambikanerInnen.
Dieser Brief soll keine Lobrede auf das alte diktatorische System sein, sondern ich wünsche mir eine neue Verfassung nach Artikel 146, wobei die Vorteile beider Systeme zusammengefügt werden. Erst dann haben wir eine wirkliche freiheitlich-demokratische Grundordnung, und keine nun folgende Demokratie mit Abstrichen.
Detlev Stender, Kiel/BRD
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