: „Goethe geht mir ständig durch den Kopf“
■ taz-Gespräch mit dem Präsidenten des Goethe-Instituts, Hans Heigert / Wird sich „Goethe“ mit den DDR-Pendants „Herder“ und Co. nach der deutschen Vereinigung zusammenschließen? / Stasi-Probleme „bis in die Wurzeln hinein“ bei Mitarbeitern der DDR-Kulturgesellschaften
taz: Herr Heigert, mit dem „9.November“ hat bei Ihrer Wahl zum Präsidenten des Goethe-Instituts im Frühjahr 1989 niemand rechnen können. Dieses Ereignis hat nun auch für Ihr Institut Folgen. Die DDR hat ihre eigene auswärtige Kulturarbeit gemacht, und sie hat, wie die BRD, eigene Institute in verschiedenen Ländern, die eine mit dem Goethe -Institut nicht durchweg vergleichbare Arbeit leisten. Wird es in der auswärtigen Kulturarbeit der beiden deutschen Staaten eine Vereinigung geben?
Hans Heigert: In der DDR kümmert sich das Herder-Institut ein Universitäts-Institut in Leipzig - um Sprachunterricht und Ausbildung von ausländischen Deutschlehrern. Diesen Teil der Arbeit nennen wir bei „Goethe“ „Deutsch als Fremdsprache“. Die DDR hat einige hundert Stipendiaten, nicht nur aus dem und im ehemaligen Ostblock, sondern auch Mosambikaner, Algerier, usw. Die werden vom Herder-Institut zunächst im Ausland betreut, damit sie dann in der DDR studieren können. Daneben gibt es die „Liga für Völkerverständigung“ der DDR (die bis Februar dieses Jahres Liga für Völkerfreundschaft hieß, d. Red.) mit Sitz in Ost-Berlin. Sie war bis vor kurzem beim Zentralkomitee der SED angesiedelt. Da können Sie sich vorstellen, was das war.
Unter den Auslandsinstituten der DDR gab es eine Ausnahme...
Paris. Das Pariser Institut war von Anfang an offiziell beim Außenministerium angesiedelt. Die Franzosen, die ein Kulturinstitut in Ost-Berlin haben, bestanden auf einer reziproken Lösung - denn ihre Auslandsinstitute sind dem französischen Außenministerium unterstellt. Das hat die DDR dann so gemacht. Das ist ein großes und, wie ich höre, gut ausgestattetes Institut in Paris. Aber die anderen Einrichtungen waren, sagen wir mal, eine Unterabteilung des Zentralkomitees. Jetzt sind sie es nicht mehr.
Die auswärtige Kulturarbeit der DDR war selbstverständlich ideologisch bestimmt.
Jetzt ist die Anbindung der DDR-Institute eine andere, offiziell sind sie nun beim Außenministerium angesiedelt.
Kann sich unter solchen Voraussetzungen das Goethe-Institut überhaupt mit seinen DDR-Pendants vereinigen?
Wir machen uns natürlich Gedanken, wie das weitergehen soll. Aber die DDR ist einstweilen noch ein souveräner Staat, und deshalb muß die Regierung der DDR entscheiden, was sie mit ihren Instituten und staatlichen Kulturgesellschaften machen will.
Die Regierung der DDR soll also bis zur Vereinigung der beiden Staaten eine Lösung vorbereiten, damit das nicht an Ihnen hängen bleibt?
So ist es. Wir wollen nicht den Schwarzen Peter haben. Die Klärung muß in der DDR geschehen. Die zuständigen Behörden in der DDR - das ist mein jetziger Wissensstand - trachten danach, möglichst viele ihrer neun Auslandsinstitute zu erhalten, einschließlich des Personals. Und soweit es eine eventuelle Vereinigung betrifft, scheint das für uns unproblematischer zu sein, soweit es um die Dozenten für deutsche Sprache geht. Problematisch wird es allerdings bei den Mitarbeitern der DDR-Kulturgesellschaften, von denen niemand von uns genau weiß, was sie eigentlich für Aufgaben hatten. Sie wissen, was ich meine.
Also möglicherweise Stasi-Probleme bis in...
Bis in die Wurzeln hinein. Wir können solche Leute nicht einfach übernehmen. Ob oder auf welche Weise nun die Institute der DDR und die Goethe-Institute zusammenwachsen oder sich vereinigen, das kann ich Ihnen jedoch heute noch nicht sagen.
Haben Sie schon Gespräche geführt mit Vertretern des Herder -Instituts?
Wir hatten Besuch vom Herder-Institut, von Professoren der Universität. Und wir hatten auch Besuch von Professor Grunert (wurde am vergangenen Wochenende abgewählt, d.Red.), mein Pendant von der „Liga für Völkerverständigung“.
Hatten Sie eingeladen - oder hatten die Herren von sich aus um ein Gespräch gebeten?
Sie haben sich bei uns gemeldet und wollten wissen, was wir machen, denn - angeblich - wußten sie wenig von uns. Das waren alles Leute, mit denen Sie so reden können wie wir jetzt, von denen wir aber wissen, daß sie vor einem dreiviertel Jahr noch ganz anders geredet haben.
Eines der großen Probleme wäre demnach die Übernahme oder Nichtübernahme von Angestellten?
So ist es. Und da kann ich Ihnen kein Rezept sagen. Das Präsidium hat einen Bericht über die Aktivitäten der DDR -Institute, soweit unsere Leute das feststellen konnten. Übrigens nicht nur über die Institute, sondern auch über die vielen Gesellschaften, die dann immer mit irgendeiner Kommunistischen Partei irgendeines Landes zusammenhingen.
Die freie oder nicht mehr freie Personalauswahl kommt ja auf die gesamte öffentliche Verwaltung zu...
Das Goethe-Institut ist nach seiner Satzung autonom bei der Auswahl seines Personals. Das war so, und so soll das auch bleiben. Also werden wir nicht das Personal von drüben blank übernehmen.
Aber wir mauern ja nicht. Wir wollen alsbald in unsere Gremien - in die Mitgliederversammlung, die Beiräte - Leute aus der DDR aufnehmen, die ihre Kompetenz einbringen und ihre Erfahrungen. Es geht um Leute, von denen wir wissen, daß sie hasenrein sind, und es geht um wirkliche Kompetenz, um Leute, die nicht deshalb zu einem Professorentitel gekommen sind, weil sie auf der früher richtigen Schiene waren.
Jenseits der „Hasenreinheit“ könnte es ja - in einem ergänzenden Sinne - ein Glücksfall sein, daß DDR-Institute in Ländern oder Regionen bestehen, wo Goethe-Institute bisher nicht gegründet wurden oder gegründet werden konnten. Sie hätten, um es mal so zu sagen, vorbereitete neue „Standorte“.
In Warschau, wo wir noch keine Räume haben, oder in Paris, um dort sinnvoll auszuweiten, könnte das möglich sein. Generell würde ich das aber nicht sagen, es kann nämlich ebenso die Arbeit erschweren.
Erschweren - in welchem Sinne?
In den skandinavischen Ländern zum Beispiel haben wir - in Helsinki und Stockholm - wohlausgebaute Institute. Und die DDR hat dort auch Institute. Eine Vergrößerung oder ein Ausbau unserer Institute wäre da nicht unbedingt nötig.
Mit anderen Worten: Nicht die „angemessene Repräsentation“ der Bundesrepublik ist für die Größe eines Instituts ausschlaggebend, vielmehr soll die Größe dem Bedarf des Gastlandes angemessen sein?
Natürlich.
Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren mit verschiedenen osteuropäischen Ländern Kulturabkommen getroffen. Jetzt steht - auch durch die politische Liberalisierung in diesen Ländern - die beschleunigte Ausweitung der Arbeit an.
Seriöse Schätzungen sagen, daß allein in der Sowjetunion zwölf Millionen vorwiegend junge Menschen an Schulen und in Universitäten Deutsch lernen. Das ist mehr als im Rest der Welt zusammen. Der Sprachunterricht, den wir in Moskau machen, ist im Vergleich zu diesen Zahlen marginal.
Wird Ihnen bei solchen Zahlen und den damit verbundenen Aufgaben nicht doch etwas schwummerig?
Ach nein. Die Aufgaben sind zwar riesig. In Budapest zum Beispiel wurden wir überschwemmt von Nachfragen nach Büchern, Videos usw. Die Ungarn wollten schon die Bücher, als sie noch gar nicht ausgepackt waren. Gefragt sind überall in Osteuropa - Kulturprogramme, Informationsprogramme, Seminare, alles über Medien, Verfassungsfragen, Ökologie. Entsprechend groß ist auch die Nachfrage nach Fachleuten und Veranstaltungen. Vor all dem ist mir nicht schwummerig, überhaupt nicht. Es wird eben eine Menge zu tun sein.
Sie haben eine Etat-Erhöhung für das laufende Haushaltsjahr erreicht.
Ja, gerade so viel, daß wir danach sagen konnten, das erlaubt uns in Warschau und in Moskau wenigstens, mit der Arbeit zu beginnen.
Das heißt, daß die Mittel weiter erhöht werden müssen, weil die Arbeit gerade in Osteuropa dringend ausgeweitet werden muß.
Vor allem im Osten. Für das Jahr 1991 sind 20 zusätzliche Stellen bewilligt worden. Das reicht eben wirklich nur für den Anfang. In Warschau, Prag und Moskau haben wir noch keine Räume. Außerdem müssen unsere Bibliotheken - und zwar weltweit - besser ausgestattet werden, nicht nur mit Büchern und Lehrmitteln, auch mit Personal.
Demnach ist ein regelrechter finanzieller Sprung nötig?
Sicher. Aber das ist keine Frage an mich, das ist eine Frage an Bonn. Wir hoffen und wir wünschen und beantragen, daß die Kulturarbeit nicht zu kurz kommt bei den Milliardensummen, die jetzt in Bonn verteilt werden.
Haben Sie bei Ihren Gesprächen mit Politikern und Abgeordneten den Eindruck, daß die Arbeit des Goethe -Instituts in den Köpfen präsent ist - oder gilt es immer noch, auch im eigenen Land Überzeugungsarbeit zu leisten?
Bei den Abgeordneten aus den verschiedenen Ausschüssen, mit denen wir zu tun haben, müssen wir keine Überzeugungsarbeit leisten. Die wissen, wovon die Rede ist. Im Kreis der Regierung haben wir ein offenes Ohr bei dem zuständigen Minister Genscher. Wir haben auch ein offenes Ohr beim ebenfalls zuständigen Minister Waigel, wobei man einräumen muß, daß der Bundesfinanzminister gegenwärtig andere Probleme hat als die Aufstockung des Etats des Goethe -Instituts. Das muß ich zubilligen.
Kritische Selbstsicht wird nicht nur als Begriff, sondern als Arbeitsinhalt beim Goethe-Institut immer mitgedacht und mitgeschrieben. Genau deshalb gab es 1987 von Franz-Joseph Strauß herbe Kritik, der dem Institut „bewußt einseitig negative Darstellung der Bundesrepublik“ vorwarf.
Die Kritik, die seinerzeit von Strauß hier vorgebracht wurde, ist in dieser aggressiven Tonart verstummt. Es gibt sie - nach meiner Kenntnis - so nicht mehr. Es gibt wohl noch Leute, die „so ungefähr wie Strauß“ denken. Das kann ich nicht ändern, das ist nunmal so in einer Bevölkerung. Aber es gibt keine offiziellen Angriffe dieser Art.
Ist das eine vorübergehende Flaute, oder berechtigt das zu Hoffnungen für die Zukunft?
Ich habe nicht den Eindruck, daß dies nur eine vorübergehende Stille ist. Natürlich gibt es immer noch Politiker, die eine Reserve haben, die sagen, beim Goethe -Institut sind „lauter so linke Typen“, und „die vertreten uns nicht richtig“. Solche gibt es noch, aber nicht mehr viele. Das sind allerdings Leute, die meinen, das Goethe -Institut hätte die Aufgabe, irgendwo in der Welt Schaufenster auszustatten und zu sagen, schaut mal her, wie fabelhaft diese Bundesrepublik ist. Dies ist nach unseren Regeln aber nicht die Aufgabe des Goethe-Instituts. Sie liegt vielmehr in der kulturellen Verbindungsarbeit, Zusammenarbeit mit den Partnern im Ausland. Natürlich sagen wir unseren Partnern, was uns am Herzen liegt. Aber wenn das im jeweiligen Land kein Thema ist und auch nicht werden kann, dann hat es keinen Zweck, dann wird es ein Ladenhüter, und wir schmeißen Geld hinaus.
Sie sind jetzt etwas länger als ein Jahr im Amt. Was war leichter, was war schwieriger, als Sie erwartet haben?
Ich will mit dem Schwierigeren anfangen. Ich hatte nicht erwartet, daß ich so schnell mit so außerordentlich komplizierten Haushaltsfragen konfrontiert sein würde. Da mußte ich mich mehr als erwartet engagieren, mich für mehr Planstellen und Projektmittel einsetzen. Die Verhandlungen waren sehr schwierig, und wir haben uns deshalb auch an die Presse und an die öffentlichkeit gewandt. Das hat geholfen. Das Parlament hat daraufhin den uns betreffenden Teil des Haushaltsentwurfs der Bundesregierung nach oben hin korrigiert. Damit wurden wir in den Stand versetzt, in Osteuropa wenigstens mit „Vorkommandos“ beginnen zu können.
Das Leichtere ergab sich durch meine Wahrnehmung und Kenntnisnahme des Apparats. Ich habe sehr schnell und mit großer Freude begriffen, daß in der Zentralverwaltung in München hervorragende und zuverlässige Fachleute am Werk sind. Das hat mir meine Arbeit ungemein erleichtert.
Am Apparat also keine Beschwerden?
An großen Apparaten wie diesem - rund 300 Leute in der Münchner Zentralverwaltung, rund 3.000 draußen - gibt es sicher immer irgendwelche Beschwerden, das sind aber nicht meine.
Was wünschen Sie sich, damit die Arbeit der Goethe -Institute in den nächsten Jahren weiterhin verantwortlich getan werden kann?
Nirgendwo kürzen, weder im Süden noch im Westen oder Norden. Aber die ganz große Beschäftigung, das ist im Augenblick und vorläufig Osteuropa. Und dafür wünsche ich uns die notwendigen Mittel.
Hat sich das ehrenamtlich gedachte Amt des Präsidenten letztendlich als Fulltime-Job entpuppt?
Wenn Sie darunter einen Acht- oder Zehnstundentag verstehen, muß ich sagen: Nein. Aber es ist insofern doch ein Fulltime-Job, als „Goethe“ einem durch den Kopf geht, egal, wo man gerade ist.
Das Gespräch führte Anna Jonas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen