: Scherf: Eine Zensur muß stattfinden
■ Urlaubssperren für benotungsunwillige GSM-LehrerInnen / Schulleiter weigert sich
Pünktlich zu Ferienbeginn droht den SchülerInnen der Gesamtschule Mitte ein in der Bremer Schulgeschichte bislang einmaliges Spektakel: Bildungssenator Henning Scherf will notfalls mit der geballten Gewalt seiner Dienstaufsicht das gesamte GSM-Lehrer-Kollegium zum Zensurenschreiben abkommandieren.
Gestern platzte Scherfs oberster Schulaufseher, Helge Meier, gleich mit einem ganzen Stapel Dienstanweisungen in eine Gesamtkonferenz der GSM und verkündete Kraft seines Amtes: Die in der Gesamtschule geschriebenen Zeugnisse sind
-weil zensurenlos - samt und sonders null, nichtig und schulgesetzwidrig.
Das GSM-Kollegium hatte es - einem Konferenzbeschluß vom April 89 (!) folgend - vorgezogen, differenzierte Entwicklungsberichte statt Nummern von 1 bis 6 in die Zeugnisse hineinzuschreiben. Gestern wies Schulaufseher Meier an, die Zeugnisse sofort durch Noten zu ergänzen, widrigenfalls werde gegen das gesamte Kollegium eine Urlaubssperre verhängt. Ihre Ferien könnten die GSM-Kollegen dann in der Schulbehörde zubringen, um solange über den Sinn von Noten nachzudenken, bis sie gegeben sind. Sollte sich das Kollegium auch dann noch weigern, würden Schulaufsichtsbeamte die Noten per „Ersatzvornahme“ schüler -unbekannterweise selbst erteilen. Um sicherzustellen, daß sein Ultimatum richtig verstanden sei, bekamen alle Teile des Lehrkörpers es noch einmal schriftlich, den drohenden disziplinarischen Sanktionskatalog inclusive. Für kommenden Montag sind die notenunwilligen LehrerInnen vorsorglich noch einmal zum Dienstgespräch in die Behörde zitiert.
Wo Schulaufseher Meier vermutlich vergeblich warten wird: „Wir lassen uns nicht zitieren, man wird uns schon holen müsen,“ konterte GSM-Schulleiter Armin Stolle gestern das Aufseher-Ansinnen. Stolles Motto: Eine Zensur findet in unserer Schule nicht statt: „Ich werde meinen Kollegen höchstpersönlich ausreden, sich in diesem Punkt dem Druck der Behörde zu unterwerfen.“ Im Gegenzug will Stolle jetzt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Dienstaufseher Meier einlegen. Grund: Seit April 89 liegt der Schulbehörde der GSM-Konferenzbeschluß vor, nachdem an der GSM Entwicklungsberichte geschrieben statt Zensuren erteilt werden sollen. Statt den zugehörigen, 15 Monate alten Antrag auf eine entsprechende Ausnahmeregelung zu bearbeiten, holte die Schulbehörde jetzt stattdessen die Disziplinarmaßnahmen -Keule heraus.
Die angedrohten Prügel, so ein Sprecher Scherfs gestern, will der Bildungssenator als Wahrnehmung seiner „Fürsorgepflicht gegenüber untergebenen Beamten“ verstanden wissen: „Wir müssen die Kollegen schließlich vor Gesetzesübertretungen schützen, und solange der Antrag auf Benotungs-Dispens nicht entschieden ist, besteht Benotungspflicht.“
K.S.
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