: Aus einer anderen Lebenszeit
■ Mister Robert Zimmermann, auch Bob Dylan genannt, gab sich die Ehre im ICC
Jetzt ist es raus. Bob Dylan war es, der nach Abschluß der Dreharbeiten zu dem Film Pat Garrett jagt Billy the Kid von Sam Peckinpah die Requisitenkammer plünderte. Nun, nach gut 20 Jahren, glaubt er offenbar, daß genug Gras über die Sache gewachsen sei. Vor der gerade laufenden Europatournee rümpelte er ausgiebig in seinem Diebeslager herum und staffierte sich selbst und seine Band mit dem Beutegut von damals aus. In einen frackverwandten schwarzen Kittel gehüllt, das leicht schüttere, struppige Haar von einem verwegenen Käppi beschirmt, wirkt er, als wolle er sogleich zur Truthahnjagd ausreiten. Den jungen Burschen „Alias“, den er damals spielte, würde ihm heute allerdings niemand mehr abnehmen, zu sehr haben sich seine Gesichtszüge inzwischen denen von James Coburn angenähert, jenem Schauspieler, der seinerzeit den abgehalfterten Pat Garrett gab.
Zu Beginn des Konzerts im ICC scheint es fast, als habe seine Stimme eine ähnliche Metamorphose vollzogen. Die Zeilen vom Auftaktsong Maggie's Farm und dem folgenden Simple Twist Of Fate entfleuchen des ehrwürdigen Barden Lippen so nuschelig, als habe er vergessen, vor dem Konzert sein Gebiß einzusetzen. So ausgiebig hat er seine Stimmbänder in 49 Jahren gesanglich betätigt, daß diese fast eine Art Eigenleben entwickelt haben, und der Meister scheint manchmal selbst überrascht, was für Kapriolen sie jetzt wieder schlagen. Nach einer ziemlich verwirrten Fassung von I'll Be Your Baby Tonight beschließt Dylan dann, sich ein wenig mehr auf sein Tun zu konzentrieren, und spätestens beim vom Publikum begeistert gefeierten akustischen Set knarzt, knurrt, krächzt und klabautert er wieder ins Mikrofon, daß es eine Pracht ist.
Besetzung und Programm seiner Gruppe entsprechen weitgehend exakt der Europatournee des vergangenen Jahres. Christopher Parker klopft einen grundsoliden Rhythmus, Tony Garnier brummelt am Baß, und der blonde Pferdeschwänzler G. F. Smith klampft nicht nur vorzüglich, sondern hat geschafft, woran ehemalige Dylan-Mitstreiter wie Robbie Robertson, Mick Taylor oder Jerry Garcia allesamt verzweifelt sind: Bob Dylan beizubringen, passabel Elektrogitarre zu spielen. Vor Jahresfrist mußte er ihm noch des öfteren mit dezentem Fingerzeig klarmachen, wo auf dem Gitarrenhals er hinpatschen sollte, jetzt darf Dylan schon völlig eigenständig die Obertöne beisteuern. Und er tut dies sogar ganz ordentlich, auch wenn seinem Gitarrenspiel hin und wieder noch etwas leicht Skurriles anhaftet.
Den Rest des letzten Jahres hat Mister Zimmermann augenscheinlich damit zugebracht herauszufinden, ob er nicht der Mundharmonika ein paar noch nie dagewesene Töne entquetschen könne. Mit Erfolg: bei Mr. Tambourine Man und Don't Think Twice produziert er derart absonderliche Laute, daß jeder zufällig anwesende gestandene Blues-Harper sein Instrument auf der Stelle vor Neid verschlingen würde.
Von den neuen Stücken bringt Dylan nur Political World, ansonsten gräbt er unermüdlich in der Tiefe seines Schaffens, bellt ein aggressives Masters of War in den Saal, flötet ein fröhliches Blowin‘ in the Wind, röhrt Like A Rolling Stone und buddelt sogar den frühen Song To Woody aus, mit dem er einst, praktisch aus den Windeln heraus, sein Idol Woody Guthrie angehimmelt hatte. Besonders beeindruckend geriet Dylan und seinen musizierenden Desperados der akustische Teil, dem der Einsatz von zwei Gitarren, Schlagzeug und Kontrabaß eine bislang nicht gekannte Dynamik verlieh.
Das Publikum ist hingerissen, angesichts der Höhe der Eintrittspreise bleibt ihm aber auch keine andere Wahl. Mit von der enthusiasmierten Partie sind nicht wenige ehemalige DDR-Bürger, in der Regel daran zu erkennen, daß sie mit Vorliebe hoch über ihrem Kopf in die Hände klatschen und die Frauen zu diesem Behufe gern ihren Begleitern auf den Buckel steigen. Das Interieur des ICC steht diesem Treiben allerdings eindeutig feindselig gegenüber. In Stuhlreihen gefesselt ist schlecht huckepacken!
Vor drei Jahren, als Dylan vor 80.000 Fans im Treptower Park im Auftrag der FDJ all along the watchtower rockte, war das noch ganz anders. Aber wie singt Bobby in Shelter From The Storm: „T'was in another Lifetime“.
Matti Lieske
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