80 Millionen Weltmeister

■ Zigtausende bejubelten die „Helden von Rom“ auf ihrem Weg vom Rhein-Main-Flughafen in die Frankfurter Innenstadt. In der Nacht zuvor kam es in allen Großstädten zu Feiern und Randale

Deutschland vereinigt sich im Siegestaumel

Wer ist Helmut Kohl?“ fragte der Mann im Lautsprecherwagen die extatisch tanzende, schwarz-rot-goldene Masse auf dem Frankfurter Römerberg. Ein Pfeifkonzert aus Zigtausenden von heiseren Kehlen war die Antwort. „Wer ist Franz Beckenbauer?“ - „Unser Kaiser!“ schrie die Menge zurück, denn: „We are the champions!“

Schon Stunden vor der Ankunft der „Helden von Rom“ - so Hessenbub Frank Lehmann vom Hessischen Rundfunk (hr) - ging es auf dem historischen Römerberg zu wie in einem Frankfurter Würstchen. In einem Meer von schwarz-rot -goldenen Fahnen und mit Pauken und Trompeten feierten Zehntausende von germanischen Tifosi Leib an Leib den „Sieg!“ (dreimal) über die Argentinier des Diego Armando Maradona, der den Deutschen die dritte Weltmeisterschaft brachte: „Diego, Diego! Hahaha!“. „Sempre Roma“, krähte Udo Jürgens live vom Balkon. Und die Exweltmeister aus Frankfurt, Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein, wurden eine Stunde vor der Landung der Maschine aus Rom gefeiert, als hätten sie auch 1990 den Goldpokal gewonnen. Doch „Grabi“ und „Holz“ wollten nicht auf den Balkon, denn „heute ist der Tag der neuen Weltmeister“ (Grabowsky). In Frankfurt jedenfalls war der Adler los. Im Fahnenwald um den Brunnen der Justitia auch eine einsame Reichskriegsflagge, die von gröhlenden Skinheads geschwenkt wurde. Die Stimmung war denn auch eher fröhlich-enthusiastisch, bis auf die Momente, in denen die Rechtsausleger unter den Feiernden ihr markiges „Sieg!“ schmetterten, vor dem offenbar die morschen Knochen der Gegner erzittern sollen.

„Reisende, meidet Bayern“, hatte schon Kurt Tucholsky 1922 geschrieben. Daß die Nationalmannschaft um „Kaiser“ Franz überhaupt in der Kaiserkrönungsstadt Frankfurt das Fußballvolk begrüßen konnte, hat sie einem Machtwort des ausgepfiffenen Bundeskanzlers zu verdanken. Der wehrte entschieden die Ansprüche des bayerischen Ministerpräsidenten Streibl ab, der den Bayern Beckenbauer mit seinem Knappen „Auge“ gerne in seiner Landeshauptstadt empfangen hätte.

„Ich bin

ein Kameruner“

Doch nix da. München paßte Kohl nicht in den Terminplan und so kamen die Stars ins rot-grüne Frankfurt des Hobbysportreporters Dany Cohn-Bendit. Der Kommentar des Multikulturdezernenten: „Ich bin ein Kameruner.“ Zigtausende säumten die Straßen, als der Konvoi der Kicker gegen 14 Uhr vom Rhein-Main-Flughafen über Sachsenhausen in Richtung Römerberg fuhr. Ganze Belegschaften aus den Yuppie-Agenturen entlang der Strecke feierten auf der Straße mit Schampus und Konfetti den Weltmeister. Und der Römer bebte, als aus den Lautsprecherboxen die Hymne „Stars we are“ dröhnte und die sich inzwischen bis zum Paulsplatz stauende Masse wie entfesselt mitgröhlte.

Böllerschüsse und Luftheuler begrüßten das Team. Und auch das Wetter spielte mit, nachdem es am Vormittag geregnet hatte. „Kaiserwetter“, nannte das Frank Lehmann, als „Kaiser“ Franz den Kaisersaal betrat und sich mit den Spielern ins goldene Buch der Stadt eintrug. Die Massen vor dem Römer gerieten schier aus dem Häuschen: „Ruudi! Ruudi!“ und „Uuuwe! Uuuwe!“ skandierten die Fans. Der Hanauer Bub Rudi Völler und natürlich „Eintracht„-Star Uwe Bein wurden als „Götter“ gefeiert. Und ihr „Olymp“ war an diesem Tag der Römerberg. Wahre Begeisterungsstürme brachen los, als vom Balkon aus verkündet wurde, daß Uwe Bein bei der Eintracht bleiben wird. Die Italiener hatten in Rom schon an seinem Trikot gezerrt.

Die Haare zu Berge standen an diesem Tag der nationalen Besoffenheit den Polizisten. Ein Krisenstab beschäftigte sich stundenlang mit nur einer einzigen Frage: Wie bekommen wir die aufgeputschte Menge wieder vom Römerberg?

K.P. Klingelschmitt, Frankfurt